Gebissen
drängend, hoffnungsvoll und tadelnd zu klingen. Alex bedauerte, vor drei Minuten ans Telefon gegangen zu sein, noch vor dem Frühstück, vor der ersten Tasse Kaffee und mit schwerem Kopf vom Alkohol des Vorabends.
»Viele«, antwortete er und starrte auf den wackligen Stapel diverser Musikzeitschriften auf dem schwarz lackierten Wohnzimmertisch, die leere Bierflasche mit dem abgerissenen Etikett und den Brief der Gaswerke, den er gestern nicht mehr geöffnet hatte. »Aber eigentlich möchte ich ja eine Frau kennenlernen.«
»Ach, du.« Sie lachte. »Du weißt doch, was ich meine.«
Ja, das wusste er. Er war mit Anfang dreißig noch immer ihr Sohn, und deshalb fragte sie nach Mädchen und nicht nach Frauen.
Sie fragte, ob er jemanden kennengelernt hatte, und dachte dabei bereits ans Heiraten und Enkelkinder. Könnte sie seine Wohnung sehen, würde sie noch beharrlicher fragen und feststellen, er bräuchte endlich wieder jemanden, der Ordnung in sein Leben brächte. Als wäre Ordnung das Wichtigste, und als hätte jede Frau einen Putzfimmel und wäre fürs Saubermachen und Kochen bestimmt.
»Du bist doch ein netter und gut aussehender Junge«, fuhr sie fort. Sie sagte selbstverständlich auch Junge und nicht Mann. »Warum findest du niemanden?«
»Das kann ich dir auch nicht sagen. Das wüsste ich selbst gern.«
»Vielleicht, wenn du dir mal neue Kleidung kaufst?«
»Ach, Mama.«
»Sag nicht Ach, Mama! Ich weiß doch, wie du immer rumläufst!«
»Du siehst mich einmal im Jahr«, gab er zu bedenken, aber das Argument hatte schon die letzten drei Jahre nichts genutzt. Seit Veronika ihn für einen joggenden Banker verlassen hatte.
»Und wenn du dir dann noch einen festen Job suchst...«
»Ich arbeite aber gern so.«
»Mir musst du nichts vormachen, ich bin deine Mutter, und ich sehe doch, wie wenige Sicherheiten du hast. Ich weiß ja, dass es nicht leicht ist, und schon gar nicht zurzeit und in Berlin, aber du bist doch ein kluger Junge. Du kannst doch eine Festanstellung ...«
»Mama! Ich arbeite gern so, wie ich arbeite. Wie oft denn noch?« Seine Stimme wurde lauter. Er wusste, dass sie es gut meinte, doch er wollte dieses Gespräch nicht wieder und wieder führen. Wieder und wieder ihre Ängste durchkauen, die sie auch ihm unterschieben wollte. Dabei hatte er seine eigenen.
»Aber so kannst du doch keine Familie ernähren.«
»Ich hab doch gar keine Familie!«
»Genau das versuche ich dir die ganze Zeit zu sagen. Du brauchst einen festen Job, sonst kannst du keine Familie gründen.«
»Für eine Familie bräuchte ich in erster Linie eine Frau.« Er versuchte zu lachen, um die Schärfe in seiner Stimme abzumildern, aber es gelang nicht. Obwohl er Kinder mochte, wusste er nicht, ob er je eigene haben wollte, doch für seine Mutter musste jedes Leben auf eine Familie mit zwei oder drei Kindern hinauslaufen. In ihrer Welt gab es keine anderen Lebensentwürfe, alle anderen waren unfruchtbar, unglücklich oder entzogen sich ihrer Verantwortung.
»Ja, aber eine Frau will doch Sicherheiten«, beharrte sie. »Denk doch an Veronika.«
»Ich hab echt keine Lust, an sie zu denken, Mama. Wirklich nicht! Und ich hab keine Lust, noch mal so eine wie sie abzubekommen.«
Daraufhin sagte seine Mutter nichts mehr. Sie hatte Veronika so sehr gemocht, wie eine Mutter die Freundin ihres Sohnes eben mögen kann. Obwohl er schon fast dreißig gewesen war, hatte er oft genug das Gefühl gehabt, die beiden hätten sich verbündet, um ihn zu erziehen, um aus ihm einen verantwortungsvollen Erwachsenen zu machen, oder zumindest das, was sie unter verantwortungsvoll und erwachsen verstanden: einen Familienvater. Beide hatten sie gepredigt, jeder müsse an sich arbeiten - und woran er arbeiten müsse. Doch sie hatten nie daran gedacht, an ihren Vorstellungen von ihm zu arbeiten. Veronika war inzwischen Vergangenheit, doch weder sein Alter noch achthundert Kilometer Entfernung schützten ihn vor mütterlichen Ratschlägen, sie konnte nicht aus ihrer Haut.
»Du hättest mit ihr glücklich werden können«, sagte sie leise. »Sie wäre dir eine gute Ehefrau geworden. Auch eine gute Mutter.«
»Lass uns das wann anders ausdiskutieren, Mama. Ich muss noch arbeiten, ja? Da wartet noch ein Radiobeitrag auf mich.« Arbeit war das sicherste Argument, seine Mutter friedvoll abzuwürgen. Es war zu früh, um zu streiten.
»Arbeite nicht zu viel, geh auch mal raus an die Sonne, ein wenig frische Luft schnappen.«
»Mach
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