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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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geschlagen wurde, manchmal sogar mit dem Gürtel. Wahrscheinlich schreckte ihn deshalb der Gedanke an eine Abreibung nicht. Doch Alex wollte nicht von Kalle verdroschen werden.
    »Vielleicht ist das ja ein Vieh, das zu viele Pilze gefressen hat. Wenn es so ungewöhnlich ist«, sagte Jochen. Er hatte sich so sehr in den Gedanken an Tschernobyl verbissen, dass er noch gar nicht begriffen zu haben schien, dass Prügel drohte.
    »Aber ...«, versuchte es Simone noch einmal, doch Franz unterbrach sie: »Du musst ja nicht mitkommen.«
    Sie öffnete den Mund, schloss ihn, öffnete ihn wieder und stampfte mit dem Fuß auf. Sie biss sich auf die Unterlippe und rief schließlich: »Ich will das Vieh aber auch sehen. Ohne mich wüsstet ihr doch gar nichts davon!«
    »Dann komm eben mit.« Alex lächelte sie vorsichtig an, doch sie starrte nur verkniffen zurück.
    »Aber erst am Abend, da ist Kalle beim Open Air am Grubensee.«
    »Geil«, sagte Franz, und damit war es abgemacht.
    Den Nachmittag verbrachten sie mit weiteren Spekulationen, um was für eine Kreatur es sich handeln könnte, und mit den wildesten Geschichten darüber, wen Kalle schon wie verdroschen hatte. Den kleinen Ecki aus der Dritten hatte er angeblich mal an den Hosenträgern an einen Baum gehängt und mit Tannenzapfen beworfen. Alex war nicht sicher, ob er das glauben sollte - Hosenträger mussten doch reißen -, aber Ecki nervte wirklich jeden, und beim Kämpfen biss und kratzte er; es konnte also gut sein, dass Kalle sich ihn vorgeknöpft hatte.
    Alex lachte mit den anderen über die alten Geschichten von Kalles Prügeleien mit Banden aus Nachbardörfern, und sie lachten laut, um einander zu zeigen, wie wenig sie eine Abreibung fürchteten.
    Doch während Alex Simone beobachtete, die mal schwieg, mal viel zu schrill und laut lachte, wurde ihm doch mulmig zumute. Sie hatte wirklich Angst, und sie kannte ihren Bruder schließlich am besten. Wenn sie entdeckt würden, kämen sie wohl wirklich nicht mit ein paar Schrammen davon.
    »Stimmt es, dass Kalle letzte Woche ein Huhn vom Huber mit einer Eisenstange zermanscht hat? So dass der Huber nur noch gefiederten blutigen Brei im Hof gefunden hat?«, fragte Franz einige Zeit später.
    »Nein, hat er nicht!«
    »Wusst’ ich’s doch, dass der kleine Bene wieder lügt.« Franz lachte, aber Simone kaute erneut auf ihrer Unterlippe, und Alex schauderte.
    Er glaubte ihr dieses Nein nicht, doch vor Franz und Jochen wollte er nicht als feiger Schisser dastehen. Also schwieg er.
    Als sie sich nach dem Abendessen an der Bahnunterführung hinter dem Spielplatz wiedertrafen, war die Sonne noch nicht untergegangen, auch wenn Häuser und Bäume schon lange Schatten warfen. Die Jungen hatten inzwischen ihre T-Shirts angezogen und auch Schuhe an den Füßen. Alex trug seine Turnschuhe - wenn sie vor Kalle fliehen müssten, war das besser als Sandalen.
    Während die Kirchturmuhr acht schlug, schlenderten sie den betonierten Feldweg an der Bahnlinie entlang. Simone hatte gesagt, Kalle wolle um acht am Grubensee sein, dann war er jetzt sicher nicht mehr bei der Kreatur. Das Dorf lag links hinter dem Bahndamm, von dort konnte man sie nicht sehen, und auch die Felder rechts waren verlassen. Die meisten Bauern hatten um diese Zeit die Stallarbeit beendet und Feierabend.
    Nur die bedepperten Brüder vom Koch rasten auf den Rädern an ihnen vorbei; sie fuhren wohl wieder ein Rennen und hatten nur Augen für den Tacho mit der zitternden Nadel. Ansonsten trafen sie niemanden, nicht einmal Spaziergänger aus der neuen Siedlung.
    Beim Maisfeld des Huberbauern bogen sie auf den grau gekiesten Feldweg, der zum Rauen Forst führte; die Sonne versank bereits hinter den Spitzen der höchsten Bäume. Die Gräser auf der Mitte des Feldwegs waren staubbedeckt, hier und da mischten sich Flächen aus roten Bruchstücken zerschlagener Biberschwänze unter das helle Grau.
    Nach Hubers Maisfeld folgte ein abgeerntetes Weizenfeld, darauf wieder Mais, und schließlich die Wiese von Simones Familie.
    »Da.« Sie deutete auf eine Scheune aus verwittertem dunklem Holz, die am hinteren Wiesenrand stand, ein gutes Stück vom Feldweg entfernt und beinahe an der Waldgrenze, im Schatten der Bäume. Ihre Stimme klang dünn. »Da drin ist die Kreatur.«
    »Dann los.« Entschlossen stapfte Franz quer über die ungemähte Wiese, und die anderen folgten ihm.
    Alex hatte die Socken bis zu den Knöcheln hinuntergerollt, die hohen Gräser kitzelten seine Haut.
    Neben

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