Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
weiterzuleben, vielleicht auch deshalb, weil sie vom Leben nicht mehr viel erwartete. Sie heiratete wieder, bekam ein zweites Kind, aber ihr Mann starb früh, und sie musste hart arbeiten und ihre Kinder allein aufziehen. Schließlich erkrankte sie und wurde frühpensioniert. An all diesen Schicksalsschlägen ist sie nicht zerbrochen, auch von dem Antisemitismus in der kommunistischen Tschechoslowakei ließ sie sich nicht unterkriegen. Sie war und blieb eine stolze, warmherzige und humorvolle Frau, die nie ihr Judentum verleugnete.
Welche Folgen die Begegnung mit den beiden Frauen für sie, ihre Familien und uns hatte, ahnte damals keiner der Beteiligten. Nach der Ausstrahlung der WDR-Dokumentation «Geboren im KZ» (Eva Gruberová und Martina Gawaz) in der ARD am 28. April 2010 und der daraus folgenden Ausstellung «Sie gaben uns wieder Hoffnung» (Dr. Sabine Schalm und Eva Gruberová) an der KZ-Gedenkstätte Dachau folgt nun dieses Buch, das in beiden Familien mit Freude erwartet wird. Aufgeregt berichtete Eva bei unserem letzten Besuch, dass jetzt sogar ihre 16-jährige Urenkelin immer öfter Fragen stelle. Weder Miriam noch Eva gehören zu den Zeitzeugen, die in Schulen gehen und über ihr Schicksal erzählen. Nach dem Krieg wollten beide vergessen, waren wie die meisten Überlebenden von Schuld- und Schamgefühlen geplagt, weil sie, aber Millionen andere nicht, überlebt hatten. Sie wollten ihre Kinder vor dem Schmerz schützen und fürchteten sich vor der abweisenden Reaktion der Umwelt. Heute gehen sie mit dem Trauma unterschiedlich um. «Ich muss erzählen», sagt Miriam. Eva fällt es noch immer schwer, über die Vergangenheit zu sprechen. Häufig brach sie während unserer Gespräche den Satz plötzlich ab, ein oder zweimal berichtete uns ihre Tochter, dass ihre Mutter nach unseren Treffen den ganzen Abend geweint habe. Dieses Schweigen wollten wir respektieren. Es war ihre Art, Zeugnis abzulegen. Dass sie sich dann im Verlauf der Gespräche doch dazu entschied, mehr und mehr preiszugeben, hat uns sehr berührt, aber auch in einen Konflikt gebracht. Durften wir sie bedrängen und damit ihrem Leid noch einmal aussetzen? Wir haben keine Antwort darauf. Aber wir wissen, Eva und Miriam wollen und hoffen, dass die Leser aus ihrer Geschichte vielleicht lernen – Toleranz und Achtung für die Menschen und das Leben. Deshalb wollte Eva wohl weiter erzählen. Wenn sie dann von ihrem Elternhaus, der Liebe zu Géza und der Kraft, die ihr die Geburt ihrer Tochter im Lager gab, sprach, strahlten ihre Augen wie bei einem jungen Mädchen, und Kinder und Enkelkinder lauschten gebannt ihrer Erzählung.
Immer wieder wird die Frage nach dem Grund für das Überleben der Frauen und ihrer Babys gestellt. Man ist versucht, von einem Wunder zu sprechen. Die Nationalsozialisten betrieben den Massenmord an den europäischen Juden als staatliche Politik. Der industriellen Vernichtung in Todesfabriken fielen auch eineinhalb Millionen Kinder zum Opfer. Schwangere und Mütter mit Babys und Kleinkindern wurden nach ihrer Ankunft in Auschwitz-Birkenau sofort vergast. Eva Schwartz, wie sie damals noch hieß, Miriam Rosenthal, Dora Löwy, Ibolya Kovács, Elisabeta Legmann, Magda Schwartz und Sara Grün brachten Kinder im Konzentrationslager zur Welt und retteten sie in die Freiheit. Diese Frauen gehörten zu den etwa 437.000 ungarischen Juden, die Mitte 1944 nach Birkenau deportiert und zum größten Teil getötet wurden. Das Überleben der Frauen hing wie bei allen Verfolgten vor allem von Glück und Zufall ab. Der Überstellungsbefehl von Kaufering I nach Bergen-Belsen und damit in den sicheren Tod war bereits ausgestellt, konnte aber in den Wirren der letzten Kriegswochen nicht mehr ausgeführt werden. Gewiss, da gab es den letzten Lagerführer von Kaufering I, der in der Nacht einige Lebensmittel brachte. Er tat dies, nach allem was wir wissen, um angesichts der militärischen Niederlage Deutschlands seine Haut zu retten. Aber die Geschichte von Eva und Miriam erzählt vor allem von der Solidarität und dem Widerstand jüdischer Häftlinge. Der polnische Kapo Heinrich Reichsfeld, der ungarische Gynäkologe Ernö Vadász und viele andere halfen unter Einsatz ihres eigenen Lebens. Wenig nur wissen wir über den Küchenkapo in Kaufering I, David Witz aus Litauen. Sein Widerstand gegen den Rassenwahn der Nazis darf aber nicht vergessen werden. «Es sind schon so viele jüdische Kinder gestorben. Eure müssen am Leben bleiben»,
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