Gebrauchsanweisung fuer Amerika
zumindest in der Sicht der Betroffenen – zusätzliche Therapie nötig.
Und zum Thema der Herbeiführung endgültiger Glücklichkeit wären natürlich auch noch die – längst auch schon in Europa epidemisch verbreiteten – tranquillizers zu erwähnen, von denen praktisch alle in den Staaten streng rezeptpflichtig sind. (Begehen Sie aber nicht den Fehler, sich deswegen vor Antritt Ihrer Amerikareise allzu reichlich mit diesen Dingern einzudecken – Sie könnten nämlich sonst wirklich mit den Zöllnern in Schwierigkeiten geraten.) Die Hersteller dieser Nirwanamittel haben sich die Utopiefreudigkeit ihrer Kunden dazu dienstbar gemacht, im Laufe der Jahrzehnte den Glauben zu erwecken und zu bestärken, daß jede unangenehme, schmerzvolle, »negative« Gefühlsregung – wie zum Beispiel Nervosität bei Prüfungen oder entscheidenden Besprechungen, Trauer, Ärger über Fehlschläge, Enttäuschung, gelegentliche Schlaflosigkeit usw. – eo ipso krankhaft ist. Und was krankhaft ist, muß natürlich behandelt werden.
Es ist kaum anzunehmen, daß Jefferson in seinem Idealismus diese bizarren Entwicklungen seiner Glücklichkeitsidee voraussehen hätte können. Aber es läßt sich schwer leugnen, daß der Amerikaner, wenn schon nicht unbedingt von der Psychiatrie, so doch von der Gesellschaft – und daher letztlich vom Staate – die Herstellung seiner utopischen Glücklichkeit sozusagen als Pflichtleistung erwartet. Für den Europäer, der seiner demokratischen Tradition gemäß die Aufgabe des Staates im wesentlichen darin sieht, den Menschen vor dem Menschen zu schützen, ist die Entdeckung faszinierend und zugleich erschreckend, daß der Amerikaner vor der Obrigkeit gerade darauf pocht, worauf die Menschen in totalitären Regimen liebend gern verzichten würden – nämlich die staatlich oktroyierte, allgemeinverpflichtende Definition von Idealen, Auffassungen und Werten.
Die Verkörperung dieser glücksschuldenden Instanz ist natürlich der Präsident, dem besonders bei seiner Wahl in der rührendsten Weise die idealsten väterlichen Eigenschaften zugeschrieben werden. Daß Nixon zum Beispiel log, daß Kennedy – wie man schon zu seinen Lebzeiten munkelte – dem schönen Geschlecht sehr zugetan war – Dutzende solcher großer und kleiner Skandale würden uns zynische Europäer kaum aus der Fassung bringen. Wir halten derlei jederzeit für möglich, sehen in diesen Entgleisungen bestenfalls ein Symptom der allzu menschlichen Natur unserer Demokratien und in der früher oder später (meist später) eintretenden Bereinigung dieser Skandale doch wenigstens den tröstlichen Beweis für die Regenerationsfähigkeit unserer Gesellschaft. Nicht so der Amerikaner. Die Entdeckung der moralischen Hinfälligkeit oder auch nur der menschlichen Schwächen des superväterlichen Präsidenten ist für ihn anscheinend ebenso traumatisch wie (zumindest laut psychoanalytischer Theorie) das Trauma des Kindes, das seinen Vater beim Geschlechtsverkehr mit der Mutter überrascht. Doch während sich die psychoanalytische Urszene meist nur einmal ergibt, wiederholt sich diese politische Urszene alle vier Jahre.
Mit dem leibhaftigen Vater verhält es sich ganz anders. Zu Beginn seiner klassischen Abhandlung The American People analysiert der britische Anthropologe Geoffrey Gorer das typisch amerikanische Phänomen der Verwerfung des Vaters und führt es auf die Notwendigkeit zurück, mit der praktisch jeder der 30 Millionen Europäer fertig zu werden hatte, die zwischen 1860 und 1930 in die USA einwanderten – nämlich die Notwendigkeit, sich möglichst rasch der »Friß, Vogel, oder stirb«-Situation der Neuen Welt anzupassen. Je erfolgreicher aber der Vater seine (meist erst in Amerika geborenen) Kinder zu »wirklichen« Amerikanern machte, desto mehr machte er sich selbst zu einem Inbegriff der Ablehnung und des Spottes. Seine Traditionen, seine mangelhafte Beherrschung der Sprache und vor allem seine Werte wurden zu einer Quelle gesellschaftlicher Peinlichkeit für die jüngere Generation – der dann prompt von ihren eigenen Kindern Ähnliches widerfuhr.
Hand in Hand mit dieser Verwerfung des Vaters als einer Verkörperung des Alten, Überholten geht die Überschätzung des Neuen und daher der Jugend. Der 30. Geburtstag ist jener panische Zeitpunkt, an dem man über Nacht alt wird und nun zum alten Eisen gehört – vom 40. will ich lieber ganz schweigen. Ähnlich verhält es sich mit dem Neuen, irgendeinem Neuen, das seiner
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