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Gebrauchsanweisung fuer Amerika

Gebrauchsanweisung fuer Amerika

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Watzlawick Paul
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Andenkenladen, Drogerie und Parfümerie, öffentlichem Telefon, Büffet, Fotogeschäft, Schreibwarenhandlung und noch so manchem anderen. Viele Medikamente existieren unter zweierlei Namen, dem sogenannten trade name (der Handelsbezeichnung, unter dem die Herstellerfirma das Medikament vertreibt) und dem generic name (dem der betreffenden chemischen Verbindung gegebenen wissenschaftlichen Namen), was zu enormen Preisunterschieden führen kann. Das Beruhigungsmittel Miltown (das europäische Equanil ), zum Beispiel, kostet unter diesem trade name mehr als viermal soviel wie das chemisch identische, unter dem generic name Meprobamate erhältliche Präparat. Man spart sich also Geld, wenn man darauf besteht, daß einem der Arzt das Rezept auf den generic name und nicht auf die Handelsbezeichnung ausstellt, sofern das betreffende Medikament unter beiden Namen erhältlich ist.
    Auch Brillen sind sozusagen rezeptpflichtig, d. h. der Optiker verlangt für die Anfertigung neuer Gläser oder auch nur für den Ersatz einer gebrochenen Linse eine vom Augenarzt oder einem sogenannten optometrist ausgestellte Verschreibung, doch werden auch im Ausland ausgestellte Brillenrezepte angenommen. Es ist daher empfehlenswert, eine die Brillenstärke ausweisende Verschreibung bei den Reisedokumenten zu haben.
    Nicht nur in Krankenhäusern, sondern auch beim Privatarzt erhält der Patient von der Ordinationsschwester, bevor er sich zur Untersuchung auszieht, einen knöchellangen, weißen, kurzärmeligen, rückwärts von oben bis unten offenen, schürzenartigen Kittel. Sein Zweck bleibt dem Ausländer zunächst unklar, bis es ihm schließlich dämmert, daß man damit seinem Schamgefühl entgegenkommen will. Die Wirkung dieses wohlgemeinten Brauchs ist aber interessanterweise – wenigstens für den Ausländer, der es gewohnt ist, dem Arzt nackt gegenüberzutreten – genau die umgekehrte, denn die Kutte macht das Selbstverständliche peinlich, statt absichtsgemäß Peinlichkeit zu vermeiden. Sobald ich sie nämlich trage, ist damit meine Nacktheit vor dem Arzt nicht mehr selbstverständlich: Ich weiß nun nicht mehr, wieviel ich von meinem Körper zeigen kann, ohne vom Arzt entweder für prüde oder für schamlos gehalten zu werden. Und in schwer zu erklärender Weise steht diese Kutte und ihre sich selbst widersprechende Wirkung symbolisch und stellvertretend für so manches in Amerika, dessen Zweck wohlgemeint, dessen Effekt aber gegenteilig ist.
    Und damit sind wir beim unerschöpflichen Thema des Amerikaners selbst angelangt.

»Homo americanus«
    So sehr es im Vorhergehenden meine Absicht gewesen war, nur Tatsachen und Einrichtungen zu beschreiben, waren die Beschreibungen doch häufig – vielleicht allzu häufig – bereits mit Hinweisen auf die Mentalität der Begründer dieser Institutionen durchsetzt. Dies war einerseits praktisch unvermeidlich, erfordert jetzt aber eine kurze Zusammenfassung zur Überleitung auf mein Schlußthema: den Amerikaner selbst.
    Vom Anglisten J. Martin Evans an der Stanford-Universität stammt die Bemerkung, die Amerikaner seien eine »in Illusionen verfangene Gesellschaft«, die aber »gleichzeitig darauf pocht, realistisch zu sein«. Damit ist prägnant ausgedrückt, was ich an mehreren Stellen den Zwiespalt zwischen Schein und Sein genannt habe – ein Zwiespalt, der freilich in jeder Kultur und Gesellschaftsform nachweisbar ist und hier eben in seiner amerikanischen Ausprägung skizziert werden sollte. Wie ich schon zu zeigen versuchte, glaubt der Amerikaner zum Beispiel ganz ernsthaft, daß in seinem Lande die Informations- und Meinungsfreiheit nicht nur de jure , sondern auch de facto besteht. Er glaubt ferner, ein rugged individualist – ein markiger Individualist – zu sein, während der Europäer ihn viel eher als weitgehend gleichgeschaltetes Individuum sieht; und zwar gleichgeschaltet nicht als Folge einer totalitären, gehirnwaschenden Herrschaftsform, sondern paradoxerweise als Resultat seiner Auffassung von liberté, égalité, fraternité und vor allem von Glücklichkeit. Und schließlich ist er von einem fast rührenden Glauben an das Neue, Zukünftige beseelt; einem Glauben, der ihn die Geschichte als Verkörperung des »Alten« verwerfen läßt und durch den er sich, wiederum in einem paradoxen Teufelskreis, der Möglichkeit beraubt, das Neue als das wiederaufgewärmte Alte zu sehen. Nichts scheint ihm ferner zu liegen als die bittere Weisheit des Sprichworts »Plus ça change, plus

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