Gebrauchsanweisung fuer Amerika
Fowler, der nicht »engagiert« ist, der keine Lösungen hat, weil er an keine glaubt, der Antiheld, er weiß es – Pyle hat nur blinde Gewißheit und daher ratlose Fragen.
»Unser Wollen war hart und rein, die Menschen sollten uns lieben. Aber sie hassen uns. Warum sind wir hassenswert? Wir brachten euch die Wahrheit, und sie klang in unserem Munde wie die Lüge. Wir bringen euch die Freiheit, und sie sieht in unseren Händen wie die Peitsche aus. [...] Wir künden euch die wunderbare Zukunft, und unsere Verkündigung klingt wie ein fades Gestotter und rohes Gebell.«
Das ist nicht mehr der Stille Amerikaner ; Koestler schrieb dies viele Jahre früher in seiner Sonnenfinsternis , und er schrieb es über ein politisches System, das dem amerikanischen anscheinend diametral gegenüberstand. Darin lag – bis vor wenigen Jahren – das wirklich Erschreckende. Die Frage, die sich damals aufdrängte, war: Was, wenn die beiden Riesen, zwischen denen Europa sein impotentes Leben fristet, sich eines Tages ihrer Ähnlichkeit bewußt werden, zum Beispiel ihres Hin- und Hergerissenseins zwischen brutalem Großmachtdenken und fadenscheinigen ethischen oder ideologischen Verbrämungen? Die politischen Ereignisse im Osten haben inzwischen – wenigstens vorläufig – einen anderen Verlauf genommen.
Ist Ihnen, lieber Leser, mit dem Gesagten das Wesen des Amerikaners verständlicher geworden? Ich bezweifle es, denn der Amerikaner ist all das, mehr als das und selbstverständlich auch nicht das. Der Homo americanus sollte Ihnen aus diesen Seiten entgegentreten; doch was schließlich aus der papierenen Retorte dieses Kapitels entstand, ist bestenfalls ein Homunculus americanus .
Epilog
Reisen will gelernt sein. Die Kunst des Aufenthalts in der Fremde wird selten im Vaterhaus erlernt – im Gegenteil, die Lehren des Vaterhauses führen im späteren Leben meist nur zum Biertisch. Und Muttersprache, Mutterlaut, wie wonnesam, so traut – jaja, bloß welchen Preis sind Sie für diese Wonne zu zahlen bereit?
Wer daheim bleibt, hat – mit etwas Glück – Bier und Wonne. Wer reist, erfährt – wiederum etwas Glück vorausgesetzt, denn mancher erfährt’s nie – zweierlei: Erstens, daß die Heimat eine Wirklichkeit ist, aber bei Gott nicht die Wirklichkeit; daß die Fremde in ihrer Weise genauso wirklich ist und von Menschen bewohnt, die ihrerseits glauben, ihre Wirklichkeit sei die Wirklichkeit. Und zweitens, damit eng zusammenhängend, daß erst von der Fremde her die eigene Wirklichkeit überhaupt erfaßbar wird. In einer Welt, in der alles blau ist, spekulierte der Sprachwissenschaftler Whorf einmal, kann sich niemand vorstellen, daß es Farben geben könnte. Um auch nur den Begriff der Farbe, geschweige denn eigentliche Farben zu erfassen, müßte man diese blaue Welt verlassen. Sie zu verlassen aber stellt den Reisenden vor eine Entscheidung, um die er nicht herumkommt. Entweder bringt er es fertig, der Wirklichkeit seines Ursprungs universale Gültigkeit zuzuschreiben und das Fremde dann notwendigerweise als falsch, lächerlich, dumm oder feindselig abzulehnen. Oder er begreift, daß seine Wirklichkeit eben nur eine von vielen möglichen ist und daß sie weder mehr noch weniger Anspruch darauf erheben kann, wirklicher als alle anderen zu sein.
Der Unterschied zwischen diesen beiden Weltanschauungen reicht weit über unser Thema hinaus. Es gibt keine endgültige Regel dafür, wie man mit Messer und Gabel umzugehen hat; der Schöpfer unserer Welt hat uns nicht mitgeteilt, ob der Daumen oder der Zeigefinger die Zahl eins bedeuten soll; und ob das Neue oder das Alte höheren Wert besitzt, darüber läßt sich abstrakt in alle Ewigkeit streiten.
Das ist das Problem: Die Entscheidung, die der Reisende zu treffen hat, ist die grundsätzliche Wahl zwischen einer Weltanschauung, die auf der ehrwürdigen Illusion von wahr und falsch beruht, und einer, die die furchterregende Möglichkeit des Andersseins erträgt. Furchterregend, weil sich mit ihr die feste Ordnung der Welt scheinbar zersetzt und auflöst und nur Skeptizismus und Nihilismus übrigbleiben. Aber wenn wir die »Wahrheit« für uns selbst in Anspruch nehmen, werden wir das »Falsche« bestenfalls verlächerlichen, schlimmstenfalls ausrotten. (Und nun werden Sie es mir hoffentlich verzeihen, wenn ich in den Seiten dieses Buches so manches verlächerlichte, um schließlich zu diesem Epilog zu gelangen.)
Wenn wir aber die Welt jenseits des Biertisches nicht mehr als
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