Gebrauchsanweisung fuer Amerika
neugewählten Regierung. Dabei sollten wir Zeitgenossen Wilsons, Roosevelts und Nixons doch wirklich schon wissen: Plus ça change, plus c’est la même chose .
Aber eben, was ist diese même chose ? Zur Beantwortung dieser Frage fällt mir kein besserer Hinweis ein als Graham Greenes bekannter Roman Der stille Amerikaner . Allein schon die Heftigkeit, mit der dieses Buch in den Staaten verworfen wurde, während unzählige wirklich antiamerikanische Machwerke mit berechtigtem Achselzucken quittiert werden, legt den Verdacht nahe, daß es einen empfindlichen Nerv traf. Denn antiamerikanisch ist der Roman nicht – im Gegenteil: Während der junge Held, Alden Pyle, uns als reiner, Parzivalähnlicher Idealist vorgestellt wird, verkörpert sein Gegenspieler, der englische Journalist Thomas Fowler, mit seiner zynischen Abgebrühtheit und Illusionslosigkeit grundsätzlich das, was der Amerikaner am Europäer am entschiedensten ablehnt. 1955 veröffentlicht, spielt der Roman im Rahmen der historischen Auseinandersetzung zwischen der französischen Kolonialmacht und dem Vietminh und entwirft in einer fast prophetischen Vorwegnahme – die einen an George Orwells Neunzehnhundertvierundachtzig gemahnt – das spätere Vietnam-Debakel der Vereinigten Staaten.
Wie gesagt, Pyle ist ein reiner Tor. Den Kopf voll der an der Harvard-Universität erlernten, endgültigen Wahrheiten, das unschuldige Herz voll utopischem Tatendrang und tierischem Ernst, kommt er – offiziell im Auftrag der Economic Aid Mission, tatsächlich als Indochina-»Experte« des amerikanischen Geheimdienstes – nach Saigon. Saigon, der grelle Schnittpunkt übermächtiger historischer, kultureller, religiöser, politischer und strategischer Kräfte, könnte, was Pyle betrifft, genausogut auf einem anderen Planeten liegen als seine Alma Mater und ihre Weisheit. Das aber weiß Pyle – und mit ihm alle anderen »stillen Amerikaner«, für deren Wirklichkeit er fiktiver Stellvertreter ist – nicht und kann es sich nicht zu wissen leisten. Denn für ihn ist die Idee wirklicher als die Tatsache. Fowler sagt von ihm: »Er verrennt sich in eine Idee und ändert dann jede Situation so, daß sie in die Idee paßt.« Aber Saigon, jene Stadt, für deren feminine Sinnlichkeit allein schon dem jungen Puritaner jede Erfassungsmöglichkeit fehlt, ist der unwahrscheinlichste Ort auf Erden, der eines Parzivals bedarf oder auch nur Raum für einen hätte. Rückblickend stellt der in den byzantinischen Verschachtelungen indochinesischer Intrigen nur zu bewanderte Fowler fest, daß er zuerst den Impuls hatte, Pyle zu beschützen, und erst viel später begriff, daß er, Fowler, selbst des Schutzes bedurfte. »Unschuld ruft immer stumm nach unserem Schutz, doch wieviel weiser wäre es, uns selbst vor ihr in acht zu nehmen; Unschuld ist wie ein stummer Aussätziger, der seine Glokke verloren hat und durch die Welt zieht, das Herz ohne böse Absicht.« Die Diagnose, die Fowler schließlich zu stellen gezwungen ist und die seine Therapie bedingt (wodurch Pyle zu einem wirklich »stillen« Amerikaner wird), lautet auf Unheilbarkeit: »Was hat es für einen Zweck? Er wird immer unschuldig sein, und die Unschuldigen kann man nicht anklagen; sie sind immer schuldlos.« Schuldlos ja, aber nicht harmlos – auch das hat Fowler endlich begriffen: »Gott schütze uns vor den Unschuldigen und den Guten – Unschuld ist eine Form von Wahnsinn.« Was nämlich Pyle so gemeingefährlich macht, ist seine Unfähigkeit, sowohl das Böse als auch das Leiden in anderen Menschen wahrzunehmen. Sein Wahn ist die Annahme, daß zukünftige Glückseligkeit gegenwärtiges Leiden rechtfertigt, daß, wo gehobelt wird, eben Späne fliegen, und vor allem, daß gute Absichten zu guten Ergebnissen führen müssen. »Manchmal wünsche ich, daß du wenigstens ein paar schlechte Absichten hättest«, sagt ihm Fowler an einer Stelle verbittert, »dann würdest du die Menschen ein wenig besser verstehen.«
Ist der Roman antiamerikanisch? Grundsätzlich bestimmt nicht, denn das Umkippen utopischer Zielsetzungen in Zustände krassester Unmenschlichkeit und Unfreiheit ist ein universales Symptom. Aber im Vergleich zur weltweiten Haßliteratur gegen Amerika mit ihren Verdrehungen, öden Schemata und Mißverständnissen trifft Greenes Buch wirklich einen wunden Punkt. Es ist die Ratlosigkeit des Amerikaners darüber, wie Gutes einem nicht nur keine Liebe einbringen, sondern zu bösen Folgen führen kann. Der Engländer
Weitere Kostenlose Bücher