Gebrauchsanweisung für die Welt
Menschenschlange vor einem indischen Ticketschalter. In einem Bahnhof mit indischen Innentemperaturen und einem Beamten, den schon vor Jahren eine Tsetsefliege stach.
Was tun? So einfach: aus gewisser Distanz mit energischem Blick die Männer checken (Frauen checken Frauen aus), die anstehen. Und dann mit festen Schritten auf einen zugehen, der sich ziemlich weit vorne befindet und – ihn freudestrahlend begrüßen. Als guten Freund, den man doch vor Wochen im Zug getroffen hat. Gleich die Hand hinstrecken, gleich lossprudeln, gleich keinen Zweifel aufkommen lassen. Und dann neben ihm stehen bleiben, sich unbedarft »reinschmuggeln«. So, als hätte der andere auf einen gewartet. Die meisten Opfer einer solchen Charme-Attacke sind viel zu perplex, meist auch zu schüchtern, um zu protestieren. Die Welt gehört den Frechen. So ist es.
Schwer zu glauben, was man alles mit einem vorlauten Mundwerk erreichen kann. Vieles. Ohne Geldscheine, ohne Macht, ohne bedrohliche Gesten. Lauter Dinge, die eher selten zur Verfügung stehen. Nur Chuzpe muss einer haben, etwas wagen. Auch das Risiko, dass man das Spiel verliert. Wie auf einem New Yorker Polizeibüro, wo ich einen Officer wissen ließ, dass ich Reporter sei und über sein unverschämtes Benehmen mir gegenüber berichten würde. (Ich hatte mich an einer Ampel auf der falschen Spur eingefädelt und wurde auf das nächste Kommissariat beordert!) Und er mich nur auslachte und darüber informierte, dass es ihm scheißegal sei (»I give a shit«), was ich bin oder nicht.
Pech gehabt, der Grobian war nicht einzuschüchtern. Aber in einem Krankenhaus, keine drei Kilometer von dieser Niederlage entfernt, gelang die Finte: Ein verknackster Fuß musste behandelt werden und eine Bürozicke wollte meine Auslandsversicherung nicht anerkennen. Da der Name der Widerspenstigen auf ihrer Bluse stand, schwenkte ich vor Ms Thompson meinen (getürkten) Presseausweis und äußerte die Absicht, sie namentlich in einem Bericht über »die Zustände hier« zu nennen. Da gab das Weib unverzüglich nach und erklärte meine (nicht getürkte) Versicherung für rechtens.
Ich kann nur jedem Reisenden einen Zwischenstopp auf der Kaosan Road in Bangkok empfehlen. Hier gibt es für wenig Geld viel Lebenshilfe: Studentenausweise, Presseausweise, Behindertenausweise. Wer noch mehr Hinterhöfe durchschreitet, bekommt sogar falsche Führerscheine und falsche Heiratsurkunden, ja eine Bestätigung, dass man Arzt ist. Das nutzt und hat noch nie einem Mitmenschen geschadet. Im Gegenteil, es fördert die Völkerverständigung.
Exempel: Die Vorteile der beiden ersten Modelle sind für jeden schlüssig, doch auch eine Bestätigung, dass man gehandicapt ist, kann das Leben erleichtern. Vor allem Leuten wie mir, die sich weigern, die üblichen Flughafenaborte zu betreten. Meist humple ich mit einem (falschen) steifen Bein auf die Behindertentoilette zu oder winke mit einem (echten) frischen Verband in der Hand (um meine angebliche Wunde am Gesäß zu verbinden). Das reicht meist, um das zuständige Personal zum Aufsperren zu überreden. Aber seit mir ein Drachen dennoch den Zugang verweigerte, bin ich gerüstet: mit einem Wisch, der mich als Schwerbehinderten bestätigt und auf dem kein Wort stimmt. Jetzt geht die letzte Tür auf.
Wie auch immer: Sobald ich von innen verriegle, entgehe ich der Erniedrigung, anderen beim – prustenden – Defäkieren zuhören zu müssen. Privacy happens. Von keinem gesehen, gehört, ja gerochen zu werden. Und keinen sehen, hören und riechen zu müssen. Auch nicht von Google Street View verfolgt zu werden. Sich tatsächlich in einem drei Mal drei Meter großen Raum aufzuhalten, in dem keine Webcam hängt (noch nicht), keiner mich durchleuchtet, keiner mich abgreift und ausfragt, keiner mein Hab und Gut durchwühlt, wo ich einfach still sitzen, still lesen und still mein Geschäft erledigen, ja mich hinterher gründlich putzen darf. Mit Wasser und Seife und überall. Ist das nicht das Glück auf Erden? Der absolute Wahnsinn? In aller Bescheidenheit, aber der Beintrick ist mein bester, keiner hat mir mehr Wonnestunden verschafft. Schwer erleichtert hinke ich jedes Mal davon.
Einen Vorrat gefaketer Führerscheine besitze ich auch (neben einem echten). Da ich mehrmals von Straßenräubern, die nebenbei als Polizisten arbeiteten, aufgehalten wurde, um mich durch die Beschlagnahme meiner driving licence zur Herausgabe von Schmiergeld zu animieren, habe ich mir ein halbes
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