Gebrauchsanweisung für die Welt
Dutzend Ersatzdokumente besorgt. Die halfen vor allem – na wo? – in Indien: Der Bulle glaubt, ich komme am nächsten Tag in seinem Büro vorbei, um das konfiszierte Teil durch Hinterlegung frisch von der Bank geholter Scheine wieder auszulösen. Und ich weiß, dass ich das nicht tun werde. Ich helfe also dem indischen Staat, indem ich einen Akt von Erpressung und Korruption unterlaufe. Soll keiner sagen, eine Schwindelei nütze nicht dem Allgemeinwohl.
Dass auch wir – zu Hause immer gegen die Ausbeutung der »Dritten Welt« wetternd – ausbeuten und korrumpieren: Wir wissen es längst. Jeder clevere Reisende erkundigt sich beim Anflug auf sein Ziel, ob es einen Schwarzkurs gibt und was man pro Dollar/Euro augenblicklich bekommt. Das ist ein Trick, dem wir alle verfallen. Auch jene, die gern als Betroffenheits-Athleten durch die Welt reisen. Die noch clevereren Reisenden kehren allerdings nach jeder Reise um ein paar Grade weniger scheinheilig zurück. Sie wissen um ihre Verführbarkeit. Immerhin hören sie irgendwann auf, sie zu leugnen.
Ich bin längst zu kraftlos, um immer den Vorbildlichen aufzuführen. Natürlich trage ich zur Verwahrlosung der Sitten bei. Und besteche den Schaffner, damit er mir einen Sitzplatz besorgt, den Botschaftsangestellten, damit das Visum schneller auftaucht, den Rezeptionisten, damit ich ein Bett bekomme, den Busfahrer, damit er für mich einen Umweg macht, den Kellner (in Kuba, zum Beispiel), damit er mit seinen Faxen aufhört und endlich etwas zum Essen auf den Tisch stellt.
So greife ich immer dann zu Banknoten, wenn ich auf Situationen oder Leute stoße, die impertinent an meiner Lebenszeit zerren. Jeder Mensch ab einem gewissen Alter hat das Recht, mit ihr – der Zeit, die einem gegeben ist – besonders sparsam umzugehen. Damit sie als »quality time« zur Verfügung steht und nicht beim Herumhocken in Wartezimmern vor die Hunde geht. Es gibt eben zwei Klassen von Zeitgenossen: die Lebenszeit-Bereicherer und die Lebenszeit-Klauer. Die Klauer kaufe ich. Wann immer möglich. Ich wüsste keinen anderen Weg, um sie zu neutralisieren.
Ach, Flunkern macht Freude. Ich habe als Reisender auch schon Doktor gespielt. Wenn Gaffer den Weg versperrten und ich auch gaffen, auch wissen wollte, was hinter der Wand aus Leibern passierte. »Lassen Sie mich bitte durch, ich bin Arzt«, ist ein Satz, der wie eine Fatwa ins Volk fährt. Bin ich dann vorne angekommen, am Schauplatz, dann mutiere ich wieder zu Otto Niemand, bin der harmlose Augenzeuge. Neugierde ist ein anstrengendes Geschäft, das schon. Pausenlos fordert sie Listen und dubiose Manöver, um befriedigt zu werden.
Ein letzter Vorschlag, und er richtet sich vor allen an Frauen. Haben sie doch, gerade auf Reisen, mit einem Problem zu tun, das der anderen Hälfte der Menschheit erspart bleibt. Denn es gibt Männer, die – statt zu verführen – lieber zupacken und grabschen. Eben die Rüpel dieser Welt, die sich für unwiderstehlich halten. Oder für unansehnlich. Oder für unfähig. Viele Gründe gibt es, warum ein Mann eine Frau zwingt, statt sie zu verlocken. Egal, der folgende Rat klingt gut, ich habe ihn von einer Morgenland-Fahrerin, die sich irgendwann – erschöpft von vielen Morgenland-Rüpeln – einen Ehering ansteckte. Nachdem sie sich in Damaskus ein »marriage certificate« (auf Arabisch und Englisch) gekauft hatte. Mit ihrem Bild und dem Foto – guter Gag – eines finster blickenden Stiernackigen, des Ehemanns, Subtext: »Rühr meine Alte an und du bist tot!« Wie zufällig legte sie die DIN-A4-Beglaubigung immer auf ihren Rucksack, wenn sie in einem Café saß, im Zug, in einem Bus. Als Vorabinformation. Um Zudringlinge in Schach zu halten.
Mich nicht. Denn als ich auf einer Überlandfahrt neben ihr saß (ich schwöre, es war der einzige freie Platz), sprach ich sie auf den Mann mit dem Gewichtheber-Genick an. Und ich erfuhr, dass es ihn nicht gab, er nur als eine Art virtueller Leibwächter diente. Die Frau gefiel mir, sie war clever und empfänglich für die Welt. Und frei im Kopf.
Das Morgenland ist groß und die Fahrt dauerte lang. Und als wir spätnachts das Ziel erreichten, nahmen wir ein gemeinsames Hotelzimmer. Nicht ohne vorher das Redneck-Foto durch mein Konterfei zu ersetzen. Der Rezeptionist war entzückt. Endlich ein westliches Paar mit den gebührlichen Papieren! Als der liebe Nachtwächter den Schlüssel aushändigte, dachte ich wieder an einen Satz, der mich seit meiner Jugend
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