Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gebrauchsanweisung für die Welt

Gebrauchsanweisung für die Welt

Titel: Gebrauchsanweisung für die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
Vom Netzwerk:
Zeilen – obwohl ohne jede Beziehung zu meinem Anliegen – wirkten wie ein Sesam-öffne-dich. »Ah, vous êtes musulman!« Na klar bin ich das. Ich muss folglich ein guter Mensch sein. Für die gibt es jede Erlaubnis. Peng, der plötzlich vorhandene Stempel saust, mit einem herzlichen »Bon voyage« bin ich entlassen.
    Bei einem christlichen Irrläufer, diesmal in Amerika, waren nur Christen die besseren Zeitgenossen, Moslems verachtete er. Diesmal wollte ich keine Erlaubnis, diesmal hungerte ich nach Erlösung: in Baton Rouge, in Louisiana, im Family Worship Center von Jimmy Swaggart, dem grandiosesten Moralapostel der westlichen Hemisphäre. Und (mehrmals) ertappten Bordellbesucher. Neben den Anhängern des Islams hasste er noch weitere Millionen. Eine Auswahl: die Tänzer, die Rocker, die Schwulen, die Juden, die Kommunisten, die Wissenschaftler, die Abtreiberinnen und – Sex. Den hasste er am verzweifeltsten. Er war berühmt, er war berüchtigt, er war unheilbar geil. Und er konnte heucheln und greinen wie keiner.
    An diesem Sonntag in Baton Rouge, nachdem alles öffentliche Wimmern und Stammeln hinauf zu Lord Jesus ein Ende hatte, eilte ich nach vorne zur Bühne, um beim Meister die Absolution zu erbitten. Denn ich müsse, so beichtete ich unter Würgen, Tag und Nacht an nackte Frauen denken. Ob er mich nicht davon befreien könne? Denn nacktes Frauenfleisch konnte unmöglich gottgefällig sein. Und Amerikas begnadetster Pharisäer legte seine warmen Onanistenhände auf mein Haupt und forderte – meisterlich ölig – »Sátanos« auf, zurück zur Hölle zu fahren.
    Ich habe unseren Auftritt infam genossen. Niemals wäre mir das Vergnügen dieser Hanswurstiade zuteilgeworden, hätte ich den Mann offiziell – also »wahrhaftig« als Reporter – interviewt. Nichts als einen Sack Lügen hätte er mir überlassen. Ich musste auf sein Niveau hinunter, um ihn auszustellen: als Scharlatan, der von der Unbedarftheit der Massen lebt und mit hochheiligem Schwachsinn bei ihnen abzockt. Die Wahrheit ist scheu, manchmal muss einer Umwege – auch die der Täuschung, der Maskerade – einschlagen, um sie aufzuspüren.
    Dritter Vorfall: Ich war in den Vorstädten von Paris unterwegs, um dort über die »braune Szene« zu recherchieren. Mitten unter den Glatzen mit ihren Hakenkreuz-Tätowierungen auf den Nazi-Muskeln habe ich mich schwer gehütet, meine Meinung preiszugeben. Im Gegenteil, ich trat eher als Sympathisant auf, ließ anklingen, dass mir ihr Gedankengut nicht fremd sei. Denn erst, so der Trick dahinter, wenn der andere sich in Sicherheit wiegt, sich angespornt fühlt, macht er auf, plaudert sich aus und breitet ungeniert den ganzen rassistischen Müll aus, der sein Hirn verstopft.
    Nicht anders mit einem islamistischen Wirrkopf in Kairo. Nachdem ich ihm das Märchen erzählt hatte (dabei innig meinen Koran schwenkend), dass ich vom Katholizismus zum Islam übergetreten sei, legte er los. Mit den apokalyptischen Visionen einer rabiaten Scharia, die über die Welt herrschen sollte. Wie erhellend sein Sermon. Und wieder begriff ich: Man kann mit Schwachstrombirnen nicht diskutieren, ihnen nicht widersprechen. Man kann sie nur aushorchen und denunzieren.
    Fünfter Streich. In Marseille war ich mit Abdelkadar verabredet. Ich hatte ihn vor Jahren in Algier kennengelernt. Inzwischen arbeitete er als Chirurg in einem hiesigen Krankenhaus. Er war noch immer derselbe Kindskopf. Aber mit ihm konnte man Pferde stehlen. So sprachen wir am nächsten Tag beim Rekrutierungsbüro der Fremdenlegion vor. Jener paramilitärischen Truppe der französischen Armee, die für meist dubiose Unternehmen eingesetzt wurde. Ähnlich dubios waren die Legionäre: viele Ausländer darunter, viele Kriminelle. Wir fanden das Bureau, Recrutement/Jour et Nuit stand auf dem Schild. Wir läuteten. Um Punkt neun. Wir wollten wissen, ob es in dieser unter schwerem Rassismusverdacht stehenden Stadt einen Ort gab, an dem Abdelkadar – der Araber – gleichberechtigt behandelt würde.
    Wir stellten uns als zwei »ratés« vor, zwei Versager im bürgerlichen Leben. Doch jetzt hätten wir Lust auf Abenteuer, auf ein Männerdasein. Das gefiel dem diensthabenden Offizier, er blickte mir fest in die Augen und sprach: »Sie gehören der weißen Rasse an, dafür haben wir grundsätzlich Verwendung.« Mit dem Nicht-Weißen gäbe es allerdings Schwierigkeiten. Nur dreißig Prozent des Kontingents seien dafür reserviert. Während Sergeant M. mit der

Weitere Kostenlose Bücher