Gebrauchsanweisung für die Welt
wenn c) ein prachtvoll muskulöser Kerl vor mir steht, nicht ahnend, dass ich ihn sofort als Schlitzohr verdächtige, das haupt- und nebenberuflich als Faultier unterwegs ist. Ich mag solche Situationen, sie stimulieren meinen Spieltrieb.
Trick Nummer eins, eher solide, aber nur für die Punkte a) und b) verwendbar: umgehend – direkt vor dem Bittsuchenden – mit beiden Händen gleichzeitig die zwei Zipfel der Hosentaschen herausziehen (klug wäre, vorher die Scheine woanders zu verstauen), Subtext: Schau mal, ich bin abgebrannt wie du, kein Nickel weit und breit! Diese fast biblische Geste wirkt erstaunlich überzeugend. Man steht als glaubwürdiger (schändlich outrierender) Besitzloser vor einer grundehrlichen Haut, die nun – meist – einsichtig weiterzieht.
Trick zwei, überall verwendbar: Sobald sich ein Bedürftiger nähert, sofort an ihm vorbei in die Ferne schauen, sofort einer imaginären Figur zuwinken und losgehen. Energisch. So als hätte man einen alten Bekannten gesichtet, den man jetzt unbedingt sehen will, ja muss. Klar, in Richtung eines Polizisten marschieren zeigt natürlich noch mehr Wirkung. Wer Pech hat (wie ich einmal), eilt dann auf einen Ordnungshüter zu, der ebenfalls die Hand ausstreckt. Ich habe sie dann sogleich ergriffen und die schöne Uniform gelobt. Wer nicht geben will, muss preisen. Ist doch auch ein Geschenk, oder?
Trick drei, und auch er kann in allen 194 (offiziellen) Staaten der Welt eingesetzt werden. Er ist ein gar menschlicher Trick, der den anderen, den Bittsteller, zu einem Handel einlädt. So verschwindet der Geruch des Schnorrens und beide fühlen sich besser: Ich sage: »D’accord, ich rücke etwas heraus, aber vorher will ich eine Geschichte erzählt bekommen.« Und den meisten gefällt der Deal. Und sie berichten. Und ist die Geschichte brauchbar, muss sie bezahlt werden. Ohne Widerrede.
Doch in den drängendsten Fällen – in denen keine Storys und keine Fluchtbewegungen mehr aushelfen – greife ich zu einem Ablenkungsmanöver, das an Heuchelei kaum zu überbieten ist. Meine Königsmasche. Sie funktioniert immer in jenen Ländern, in denen Religion noch virulent ist: in den USA, in Südamerika, in weiten Teilen Asiens und Afrika. Da ich als Kind, an jedem Sonntag, in jeder Zehn-Uhr-Messe, selbst Opfer pfäffischer Ergüsse wurde, beherrsche ich den Schmalz »geistlicher« Ergriffenheit perfekt.
Hat man sich also entschlossen, kein Geld zu geben, dann sollte man als hochmoralische Autorität auftreten. Und unbedingt den feierlichen Ton intus haben. Damit das Gesülze tadellos rüberkommt. Etwas Salbungsvolles muss mitschwingen, etwas musterhaft Bigottes. Und der Erfolg – es wundert mich immer wieder – stellt sich ein. Versprochen. Ich bin bisweilen so gut im Vorstellen meiner eigenen, unvergleichlich schicklichen Person, dass mein Gegenüber, das mir gerade noch Geld ablisten wollte, sein ursprüngliches Anliegen vergisst und um missionarischen Beistand bittet. Den ich sogleich großzügig spende (während ich alles Geld behalte). Ich zitiere den Herrgott oder Allah oder jeden anderen Beliebigen, der in der Gegend von sich als Weltenherrscher reden macht. Und predige Anstand und zivilisiertes Betragen, sprich, fleißige Arbeit und den festen Vorsatz, nie mehr zu betteln. Wie Manna fahren meine Sprüche in den Zuhörer. Das ganz Unfassbare: Nach Minuten zieht er gestärkt von dannen, murmelt gerührt einige Dankesworte.
In solchen Augenblicken bin ich hochgradig verabscheuungswürdig, ich weiß. Am verabscheuungswürdigsten in den Augen der moralisch Tadellosen. Doch, ich gestehe, verschiedene Motive treiben mich an: entweder mein kindischer Spieltrieb und/oder die gelegentliche Niedrigkeit, die es beizeiten satt hat, als holy Andrew und aller Welt Freund durch die Lande zu ziehen. Ich bin nicht immer sittlich in Hochform. Bin dann eher niedrig, unduldsam, schlecht gelaunt und ziemlich desinteressiert am Lauf der Welt.
Kommt es noch schlimmer, rutscht mir die Hasskappe über die Augen. Dann ruht mein Freundschaftsvertrag und ich brauche einen Tag und eine Nacht, um wieder einer zu werden, der mitfühlen kann, eben einer, der noch immer nicht begriffen hat, warum die einen zu viel haben und die anderen immer nichts.
Nun kommen die anderen Tricks, die auf eher harmlose Weise das Leben des Reisenden erleichtern, ihm helfen, in gewissen Situationen Lebenszeit zu sparen. Und freie Radikale. Wie beim Anblick einer dreißig Meter langen
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