Gebrauchsanweisung für die Welt
begeistert: »Mundus vult decipi, ergo decipiam!«
Das war der bescheidene Rest aus neun Jahren Lateinunterricht, aber der Aufruf taugt immer dann, wenn ich Herrschaften begegne, die mich mit ihrem moralinsauren Erbsenhirn traktieren, voll von Benimmregeln aus dem drittletzten Jahrhundert. Oder Jahrtausend. Deshalb der Merkspruch eines römischen Satirikers: »Die Welt will betrogen werden, also betrüge ich sie!« So bekommt der Hotelmanager unser (manipuliertes) Eheattest und wir bekommen sein (echtes) Doppelbett. So denkt er, dass Sandra und ich in Einklang mit den himmlischen Weissagungen des Propheten leben. Und wir denken, dass man Unbelehrbare nicht belehren kann. Sondern sie immer schwungvoll, nie tätlich, hintergehen muss. Wieder eine Tat für den Weltfrieden.
Ich hatte ja behauptet, dass man Lebenszeit-Ruinierer nur kaufen kann. Damit sie aufhören, im Weg zu stehen. Das stimmt natürlich nicht. Stimmt nicht so ausschließlich. Es gibt noch andere Hilfsquellen. Folglich sollte ein Reisender mit einem kompletten Werkzeugkasten unterwegs sein. Einem virtuellen, einem superleichten, unsichtbaren, immer praktischen. Da liegen all die Geräte und Instrumente bereit, die er sich im Laufe der Zeit geschmiedet hat. Um es jederzeit mit der Welt aufzunehmen. Und das Wichtigste, der Wunderschlüssel, sollte so ein lässiger Swing sein, so ein Flair, das man der Welt schenkt und um das sie einen beneidet.
Klar, es gibt Weltbewohner, denen man damit nicht imponiert. Weil sie schon verwelkt sind, schon verhornt, schon fertig. Weil sie andere gern für ihr eigenes Unglück büßen lassen. Dann muss man nach den spitzeren Werkzeugen fassen. Zu Misstrauen, zu resoluten Worten, zu (fiesen) Tricks. Ja im Notfall zu den schweren Bohrern greifen – Bestechung, Denunziation, cholerische Ausbrüche. Reisen ist kein Spaziergang durch ein SOS-Kinderdorf. Manchmal lädt es zum Tanzen ein, manchmal zum Catchen. Was allein zählt: dass einer gewappnet ist. Ich will hier kein Anstandsbuch schreiben, will eher etwas loswerden über die Segnungen und Fallen eines Globus, auf dem wir leben.
Nun, ich bin kein Kraftmeier. Weil ich doch immer ohne dicke Muskeln durchs Leben musste. So kann ich nur Wörter verschenken. Oder weiterreichen, da ich sie selbst geschenkt bekam. Wie die folgende Geschichte, a mini story , aber sie passt wunderbar zum Ende des Kapitels. Denn wer den rechten Ton trifft, das eine Wort, oder die fünf, sechs entscheidenden Wörter, der zielt mitten ins Herz der anderen. Der kann verführen, viele zu vielem. Auch zum Wichtigsten: zum Mitfühlen. So wäre das einzige Übergepäck, das sich ein Reisender leisten sollte: ganze Schiffsladungen voller Buchstaben. Im Kopf. Dort wiegen sie weniger als null und warten nur darauf, dass man sie hervorzaubert.
Hier nun die kleine Hexerei: In einem Dokumentarclip, den mir Freunde zeigten, sieht man einen Mann sitzen, neben ihm der Hinweis: »I’m blind. Please help.« Einfallsloser kann man von seinem Malheur nicht reden. So hasten Leute vorüber, kaum einer nimmt ihn wahr. Irgendwann kommt eine junge Frau, elegant und selbstsicher, sieht den armen Teufel, schlendert vorbei, kehrt zurück, schreibt etwas auf die andere Seite des Kartons, stellt ihn umgedreht auf, eilt weiter. Jetzt regnet es plötzlich Geld, jeder will dem Alten etwas geben. Später kommt die geheimnisvolle Fremde wieder, der Blinde fasst ein zweites Mal an ihre Schuhe, erkennt sie und fragt, was sie geschrieben hat: »It’s a beautiful day and I can’t see it.«
Der magische Moment: Asien 1
Wie viele Bücher könnte man über die Magie Asiens schreiben? Eine Eisenbahnladung? Oder zwei? Ich ahne es nicht einmal. Aber ich weiß, dass ich jeden beneide, dem auf den knapp 45 Millionen Quadratkilometern Zauber und Abrakadabra begegnen. Weil der Erdteil mich daran erinnert, wie unverschämt kurz das Leben ist und wie verdammt wenig Zeit einem bleibt, um einen Bruchteil davon – von Asien, zum Beispiel – zu erhaschen. Nicht einmal Zeit genug, um einen Bruchteil darüber zu lesen.
Aber angesichts meiner zwei »asiatischen« Geschichten dürfen andere vor Eifersucht erbleichen. Wie eine Aussteuer trage ich sie mit mir herum. Würde der Wert eines Menschen mit der Außergewöhnlichkeit seiner Geschichten steigen, ich müsste um nichts fürchten. Nicht, seit die beiden zu meinen Trophäen zählen, zum Arsenal meiner Antidepressiva.
Die erste Geschichte erzählt von Marouf, den ich in Kabul kennenlernte.
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