Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
sollte.
Als deutscher Fußgänger in Österreich muß man sich erst wieder daran gewöhnen, Zebrastreifen anders als in der Art flüchtender Zebras zu queren und statt dessen hochverehrt dem rücksichtsvollen Autofahrer ein Zeichen des Danks zu senden.
Man darf freilich nicht vergessen, daß Österreich keine eigene Autoindustrie besitzt, genauer gesagt keine eigene identitätsstiftende Automarke (Kreiskys dahingehende Versuche, einen Austro-Porsche ins Leben zu rufen, scheiterten). Dieser Umstand einer emotionalen Ungebundenheit hat sicher seine Vorteile. Obgleich auch in Österreich eine Dominanz des Autoverkehrs besteht, fehlt jene ideologische Komponente, die aus den Bürgern in erster Linie Automenschen macht. Nein, der Österreicher bleibt in seinem Bewußtsein Kulturmensch, selbst noch hinter dem Steuer sitzend. Mag sein, daß er hin und wieder das Fußvolk zum Teufel schicken möchte, aber er weiß sich zu beherrschen und weiß sich zu benehmen.
Saalfelden hatte auf dieser Reise den Nachteil, als einziger Ort aus der Nähe betrachtet zu werden, also mitsamt der Verschandelung des historischen Zentrums dank Einkaufsläden und Restaurants (selbst jene obligate Küche des Schrecklichen hat hierher gefunden, allerdings befindet sich besagter McDonald’s in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem überaus gelungenen kleinen Kunsthaus, in dessen ursprünglich als Kinosaal geplantem Tiefgeschoß man einen gehäuseartig perfekten Ausstellungsraum eingerichtet hat, einen kubischen Zellkern, schon wieder so eine Mitte der Welt, in der die Kunst bedächtig die Räder antreibt und unser aller Gehirne mit Sauerstoff versorgt).
Diese gewisse Unansehnlichkeit von Stadt- und Dorfzentren ist nur normal. Es ist wie mit einem Menschengesicht. Aus nächster Nähe betrachtet, ist fast jedes Antlitz eine Enttäuschung, allerdings nicht, wenn man einen Kuß in dieses Antlitz drückt, weil man dann ja ganz ins eigene Gefühl versinkt und zudem die Augen geschlossen hält. So funktioniert Heimatliebe: derart nahe am Gegenstand seiner Liebe zu sein, daß man den Gegenstand nicht mehr zu sehen braucht.
In jedem Fall stimmt eines: Die Saalfeldener sind nicht nur höfliche Autofahrer, sondern auch sonst sehr freundlich.
Den Rückweg nach Stuttgart nahm ich über das Salzburgerland. Vorbei an Zell am See. Der Ort liegt ganz wunderbar am Wasser, ein wenig so, als würde er dem Wasser applaudieren. Am ergebensten tut dies das Grand Hotel, welches sich auf den See hinausstreckt (wie jene Damen, die den Tenören voll Verzückung eine Blume in die Hand drücken). Der Ort wirkt mondän, nein, halbmondän, die beste Form des Noblen, wie überhaupt der österreichische Reiz im Halben liegt, nicht im Halbfertigen, wie bei den Griechen, sondern im halb zu Ende Gebauten oder halb zu Ende Gedachten. Der Österreicher spricht Sätze, die nicht etwa in der Mitte versanden, sondern in der Mitte mit einem klaren, bestimmten und gewollten Punkt enden. Der Österreicher verfaßt Fragmente, die ganz für sich stehen können.
Auf Salzburg zufahrend, verlieren die Ortschaften ein wenig an Wirkung. Vielleicht sind sie zu nahe an der Grenze, keine Ahnung. Und über die Stadt Salzburg soll sich jeder sein eigenes Urteil bilden. Sicher, der Ort ist schön gelegen und verfügt über einige Pracht. Aber kommt es nicht auch auf die Seele an? Und wie jemand spricht und wie jemand riecht und wie jemand sich beim Essen benimmt, und ob er ein Angeber ist, ein Blender? Ja, auch Städte können Blender sein.
Dennoch: Als ich aus Österreich herausfuhr, kam mir Deutschland zuerst grau vor, grau im Sinne von Schwarzweiß, wie bei alten Filmen. Aber das ist natürlich eine Täuschung. Man muß sich eben erst wieder an die »Außenwelt« gewöhnen. Die Farbe kehrt zurück, füllt das Auge. Die Farbe des Diesseits.
Ich überlege, wie komisch es ist, daß heutzutage aus ein und demselben Fernsehgerät das österreichische wie das deutsche Fernsehen empfangen wird, nur durch simple Tastenwahl voneinander entfernt, als wollte man in einem Topf gleichzeitig eine gebundene und eine klare Suppe warm machen, hernach aber getrennt servieren. Was ja nicht ganz leicht ist. Und darum sieht das Fernsehen wohl so aus, wie es aussieht.
Aber mit dem Fernsehen will ich natürlich nicht enden. Ein Ende sollte immer versöhnlich sein – nicht glücklich, das ist etwas anderes. Glücklich sind Kühe. Wir Menschen wollen gar nicht glücklich sein, sondern das Schicksal durchschauen, den
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