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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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fallen. Es war 1985, als man einigen Winzern auf die Schliche kam, daß sie ihre Weine mit Diethylenglykol auffrisiert hatten. Ein Skandal, natürlich, andererseits war und ist Österreich ohnehin eine Art Skandalonien, eine Weintraubenrepublik im Sinne einer Bananenrepublik. Der Glykolskandal reihte sich da ein in eine Menge anderer Affären und hatte nur darum eine solche Bedeutung, weil der Export betroffen war, welcher praktisch zum Erliegen kam. Was ein wenig kindisch war, diese Verhängung einer Kollektivschuld. Immerhin kann aber gesagt werden, daß Österreich – das geradezu eine Kunst daraus macht, aus Skandalen nicht zu lernen, im Gegenteil, diese aufgedeckten Machenschaften zur Basis für noch gewaltigere Skandalschöpfungen nimmt – aus dieser einen Angelegenheit sehr wohl die Lehre gezogen hat. Bekanntermaßen steht der österreichische Wein heute besonders gut da.
    Dennoch kann man dem Österreichbesucher nur empfehlen, einmal nicht auf das sichere Pferd prämierter Spitzenweine zu setzen und statt dessen eine Fahrt in die diversen Weinbaugebiete zu unternehmen und sich dem Zufall zu überantworten. Oder dem Instinkt. Einen dieser Weinbauern aufzusuchen, die etwas produzieren, was gern als ehrlicher Wein bezeichnet wird, Weine, die nicht wie narkotisierte Designerklamotten schmecken und welche mitunter auch etwas Eckiges und Sperriges besitzen, nicht nur glatt und weich und polyglott dahinströmen. Diese kleinen Weinbauern sind nicht selten höchst eloquente Chronisten der eigenen Ware, und die Verkostung in einem ihrer Weinkeller ist noch immer so, als steige man in den Bauch der Welt. Am perfektesten jedoch ist es sicherlich, vor einem dieser Häuser zu parken, wo der Flaschenwein unbewacht auf der Straße steht und man den auf einen Karton geschriebenen Preis in ein Behältnis wirft. Ein solcher Kauf ist frei von jeglicher Ornamentik, er selbst ist das Ornament. Nebenbei ist auf diese Weise die Entdeckung eines besonders guten Tropfens noch eine Tat, auf die man stolz sein kann, während die meisten Leute ihren Wein einkaufen, als handle es sich um den Abschluß einer Lebensversicherung.
    Der Mensch, der Österreich besucht, ist zwangsläufig ein Gasttrinker, der natürlich dazu neigt, viel zu probieren, zu vergleichen, zu bewerten. Wenn er aber auch den Mut besitzt, den Wein als besagten Spiegel zu benutzen, hat er die Möglichkeit, für einen Moment lang sich selbst als Österreicher zu sehen. Und das ist sicher die bessere Methode, als etwa Lederhosen anzuziehen oder sich mit dialektalen Phrasen abzumühen.
    Wem dies gelingt — in einer Sphäre vom Rausch modellierter Klarheit schwebend —, erkennt das Glück und Elend einer »Rasse«, die sich nirgendwo so geborgen fühlt wie im Scheitern, gleich, wie sehr irgendwelche Berufsoptimisten zum positiven Denken aufrufen. (Versagen ist etwas anderes, Versagen ist ein Vorwurf, der von außen kommt, das Scheitern hingegen kommt von innen, fast könnte man von einer Überzeugung sprechen.)
    Es ist ein Gedanke, der mich oft fasziniert hat, die Vorstellung, daß in jedem Menschen auf dieser Welt ein klein wenig von einem Österreicher steckt: ein Bakterium, eine winzige Krankheit, eine kleine Bitterkeit, die aber in einer humorvollen Schale steckt. Dies fußt natürlich auf der Überlegung, daß Gott sich den Österreicher ausdachte, bevor dieser auch nur in Ansätzen existierte. Und die Frage ist dann sicher, ob Gott bei der Erfindung des Österreichers (zusammen mit der Idee, ein Partikel davon in jeden Menschen zu pflanzen) etwas Gutes oder Schlechtes im Sinn hatte.
    Ein Prinzip dieser Frage ist, daß jeder sich die Antwort selbst aussuchen darf.

 
    Wenn am Anfang  dieses Buches erklärt wurde, der Reisende, der nach Österreich kommt, würde sich auf die andere Seite des Spiegels begeben und damit eine Art Jenseits betreten, dann braucht es natürlich nicht zu verwundern, daß die Österreicher ein ganz besonderes Verhältnis zum Tod besitzen und dieses besondere Verhältnis kultivieren. Man könnte sagen: Sie sind ja schon tot. Aber selbstverständlich auf eine höchst lebendige Weise. Das Totenreich, in dem sich die Österreicher bewegen, reflektiert das Leben, karikiert es, verstärkt es, das Lebendige wird versteinert, das Versteinerte ins Leben zurückgerufen. Darum wirken so viele Dinge in Österreich einerseits vertraut, andererseits aber auch stark verzerrt. Ein österreichischer Sozialdemokrat erscheint wie das kubistische Porträt

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