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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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wie lange nicht besucht. Der Geruch nach selbst gebackenem Pflaumenstreuselkuchen muss Einbildung sein. Er täuscht Betriebsamkeit vor, wo es nur eine Frau auf der grasüberwucherten Terrasse gibt, die im kurzärmeligen weißen Strickpulli, im karierten Rock und in blickdichten braunen Strumpfhosen unsichtbare Gäste in ihr Selbstgespräch verwickelt. Die Kuchenkrümel vor ihr auf dem Teller sind längst eingetrocknet.
    P. S. Für Skater gibt es übrigens auch Erlebnisstrecken. Entlang der Fläming-Skate, der längsten Inlineskaterbahn Deutschlands, im Baruther Urstromtal kommt man an speziellen Skater-Restaurants vorbei, und in Petkus steht ein Hotel, in dem man mit den Inline-Skates auch unter die Dusche und ins Bett rollen kann, und keine Angst: Es wird Ihnen vorher genau gesagt, wie.

Gärtner und Schweiger
    Es schien das Abendrot/Auf diese sumpfgewordne Urwaldstätte/wo ungestört das Leben mit dem Tod/Jahrtausendlang gekämpfet um die Wette.
    (Nikolaus Lenau)
    An einem sonnigen Samstag im Oktober, das Laub der Obstbäume färbt sich, Apfelrot leuchtet weit über die Plantagen im Havelland, verkündet der Sprecher im rbb-Radio gut gelaunt: »Was immer Sie heute auch machen, ob Sie die Hecke verschneiden, die Rosen anhäufeln, ob Sie auf Ihrem Grundstück das Laub harken oder Holz für den Winter schlagen; hören Sie uns!«
    Die Märker hören das, stopfen sich ein kleines Radio in die Tasche ihrer Wattejacken, die Füße in erdverklebte Gummistiefel und marschieren auf’s brache Feld. In anderen Regionen gehen die Leute an einem milden, sonnigen Herbsttag spazieren, sammeln Kastanien oder sitzen bei heißer Schokolade mit Rum in Decken gewickelt auf ihrer Veranda; in Brandenburg können sich selbst Radiomoderatoren ihre Hörer an einem solchen Tag nur beim Werkeln in Garten oder Hof vorstellen.
    Für Neulinge ist das nicht so einfach. Stellen Sie sich vor, Sie haben ein schönes Grundstück erworben, wollen Ihren ersten ruhigen Samstag an der frischen Landluft genießen, und dann kreischen rechts und links die Sägen los. Der Nachbar hinter ihnen schmeißt seinen benzinbetriebenen Rasenmäher an, in den Hecken klappern die Scheren, ein Häxler frisst kiloweise totes Holz, und sogar die distinguierten Leute auf der anderen Straßenseite haben sich in ihre alten Jeans gesteckt und hocken in den Bäumen, um Äste auszusägen. Das Laub rieselt Ihnen direkt in die Schokolade. Und schon ist es da, das schlechte Gewissen! Sie werden die Schokolade schneller trinken, und ehe zwei Wochen vergehen, werden Sie glauben, dass auch Ihre Hecke dringend verschnitten werden muss. Ich würde aus diesem Grund anregen, dass alle, die in Brandenburg ihren Wohnsitz anmelden, zur Begrüßung eine Heckenschere oder eine Kreissäge geschenkt bekommen. Das wäre ein erster Schritt in Richtung Integration.
    Ein Kurs in Gartenarbeit könnte zusätzlich angeboten werden, ist aber nicht unbedingt nötig. Das lässt sich auch nachbarschaftlich regeln. Da kommt gern der Dirk von nebenan »ma auf’n Sprung vorbei« und erklärt den Einsatz von ökologischem Düngemittel oder den Gebrauch einer Bügelsäge. Man darf nur keine ausgefeilten Gebrauchsanweisungen erwarten. Es geht hier nicht wie in anderen Landstrichen um die Freude am Reden oder um die Selbstdarstellung des Redners, sondern allein um die Sache. Was, wie, wozu. Dafür reichen gewöhnlich Drei-Wort-Sätze. Die aber haben es in sich. Sie enthalten die Essenz langjähriger Erfahrung und werden von Nachbar zu Nachbar ganz im Sinne der alten Weisheit tradiert: »Nich labern, ranklotzen.«
    Sich kurz zu fassen, ist eines der wesentlichen Prinzipien eines brandenburgischen Gesprächs. Die Themenvielfalt ist so groß wie überall; worauf es ankommt, ist, sie mit dem kleinstmöglichen Wortaufwand zu bewältigen. Schließlich hat der Mensch ja noch andere Sachen zu tun. »Jeht allet seinen jeordneten Gang, wa. Na denn: rinnjehaun!«
    Sich kurz zu fassen, bedeutet auch, sich nicht aufzudrängen. Die größte Peinlichkeit der nicht mehr ganz jungen Brandenburger wäre es, im Mittelpunkt zu stehen. Bei den ganz Jungen, die übers Internet mittlerweile an die internationale Selbstdarstellungsplattform Facebook angeschlossen sind, ist diese Art der Zurückhaltung zwar schon verwässert, aber wenn sie das Internet mal ausschalten, löst auch bei ihnen zu viel Aufmerksamkeit für die eigene Person noch Schamgefühle aus. Diese charakterliche Eigenart reicht weit in die feudalen Zeiten zurück.

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