Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
Weisheit aus der Gegend von Prenzlau. Small Talk beherrscht hier niemand. Das Ideal heißt: wortloses Verstehen. Je wortloser zwei Menschen beieinander sind, desto inniger ist ihr Verhältnis. Wortkargheit ist also weder ein Zeichen für Stumpfsinn noch ein Zeichen dafür, dass die potenzielle Gesprächspartnerin für unsymphatisch befunden würde. Es ist ein Zeichen von Glück. Erst im gemeinsamen Schweigen sind die Missverständnisse aufgehoben, gibt es keine Unsicherheit und keine Skepsis mehr. Nur ein Zugereister kann auf den nutzlosen Gedanken kommen, alles auszudiskutieren. Man macht die Dinge doch gemeinsam durch, wozu also noch groß drüber reden? Was sich zusammenschweigt, hält ewig. »Keiner ist in Treue stärker als der alte Uckermärker.« So sagt es der Volksmund.
In der Ehe sind die Brandenburger erfrischend pragmatisch. Meine jungen Nachbarn sind ein gutes Beispiel. Sofort nach der Heirat beschlossen sie, mit dem gegenseitigen Beschenken aufzuhören. Weder zu Weihnachten noch zum Geburtstag machen sie sich Geschenke. Sich ohne Anlass zu beschenken, wäre ihnen sowieso nicht in den Sinn gekommen. Andere mögen das für unromantisch halten. Hier entspricht das einer klaren Logik: Wenn man zusammen lebt, kauft man auch alles zusammen ein. Wozu sollte man sich also noch mal allein auf den Weg machen, bloß um etwas zu kaufen, das nicht gebraucht wird. Und dass es nicht gebraucht wird, ist klar; sonst hätte man es längst vorrätig. Geschenke, die man sich vor der Hochzeit machte, waren dazu da, einander über die Zuneigung in Kenntnis zu setzen. Nach der Hochzeit ist die bekannt.
Eine Floristin aus Staffelde bei Kremmen hat da allerdings eine Marktlücke entdeckt. In ihrer Kornblumenscheune hat sie Ehemänner nicht nur davon überzeugt, ihren Frauen wenigstens zum Geburtstag Blumen zu schenken, sondern auch davon, dass es den Frauen gefallen könnte, wenn die Blumenauswahl von Jahr zu Jahr etwas variierte. »Wollen Sie Ihre Frau denn in diesem Jahr nicht mal überraschen?«, fragt die Floristin beispielsweise mit dem Gedanken an die fünf roten Rosen, die diese Männer ihren Frauen zu den letzten fünf Geburtstagen geschenkt haben. Bei den Männern Schulterzucken. »Welche Blumen könnten Ihrer Frau denn gefallen?« Gucken. Schulterzucken. »Was ist denn die Lieblingsfarbe Ihrer Frau?« Langes Überlegen. Schulterzucken. »Also, wie ich Ihre Frau kenne, mag sie Gladiolen sehr gern. Das würde in der hübschen Bodenvase auf Ihrer Terrasse sicher sehr schön …«. Kurzes körperliches Aufwachen: »Ham wa selba.« »Wie wäre es dann mit einem Strauß Lilien? Ich hätte weiße, orangefarbene, gelbe.« Bedächtiges Nicken. Leuchten der Augen. Dann: »Machense fünf.«
Der pragmatische Ansatz kann Außenstehende, wie gesagt, leicht über die Tiefe der Gefühlswelt hinwegtäuschen. Aber ich versichere Ihnen: Da ist was! Sie dürfen es bloß nicht herbeireden wollen. Sie müssen es erspüren . Das gilt auch für die Freundschaft. Denken Sie nicht, dass Ihnen jemand seine Freundschaft anbietet oder gar erklärt . Und versuchen Sie nicht, Ihrerseits das Ganze aufzulockern, indem Sie schwärmerisch die gute Nachbarschaft belobhudeln. Sie würden bloß das Gegenteil erreichen; die tief fühlenden Wesen würden erschrecken. Sie kämen sich entblößt vor. Hier geht es um ein inneres Erleben, und das hat an der Oberfläche des Tages nichts zu suchen. Lauthalses Verkünden von Freundschaft zeugt von Falschheit. Packen Sie also stumm zu, wenn Sie es ernst meinen. Schwitzen Sie wortlos. Wenn Sie als gesprächsgewöhnter Mensch eine Äußerung beim besten Willen nicht unterdrücken können, pusten Sie laut oder rufen Sie heiser »Scheiße!« in den Tag, das kann immer noch als Zeichen körperlicher Anstrengung durchgehen. Der Moment, in dem Sie es geschafft haben, die Karre mit ihrem Nachbarn gemeinsam aus dem Dreck zu ziehen, wird Sie für immer zutiefst verbinden.
Dass es Ihnen gelungen ist, sich Respekt und Zutritt ins soziale Netzwerk zu verschaffen, erkennen Sie daran, dass sie sich hundertprozentig auf ihre neuen Freunde verlassen können. Man steht Ihnen von nun an vorurteilsfrei bei, auch wenn Sie beim nächsten Nachbarschaftsbesuch lobheischend auf ihre eigenhändig beschnittene Hecke hinweisen (ganz grober Fehler!). Man wird Sie ein wenig bemitleiden – Ihre Gefühle sind noch nicht ausdifferenziert, Sie hängen noch zu sehr von der Bestätigung durch Ihre Mitmenschen ab –, man wird Sie vielleicht
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