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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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auf die Schippe nehmen; im Stich lassen wird man Sie nicht. Dass Sie sozial angekommen sind, erkennen Sie auch am Herumfrotzeln. Das Herumfrotzeln ist die beliebteste Spielart der brandenburgischen Kommunikation. Plötzlich geht Ihnen auf, dass das, was sich bisher wie ein Murren anhörte, eine nicht abreißende Flut von Witzen und Sprüchen ist, die in der Summe ein Ausdruck starker Zuneigung sind. (Keine Sorge also, sollten Sie selbst zum Gegenstand werden.)
    Zum Zwecke gegenseitiger Verständigung setzt man hier auf die Pointe. Je härter sie ist, umso besser. Das gebietet die gegenseitige Achtung. Wenn man schon die Energie aufbringt, sich zu äußern, sollte das für alle Beteiligten auch einen Mehrwert haben. Und dieser Mehrwert besteht darin, sich das Leben leichter zu machen. Fangen Ihre neuen Freunde also an, in Ihrer Gegenwart Witze zu machen, kommt das einem Liebesgeständnis gleich. Sind die Witze fies oder sogar beinhart, wurden Sie soeben geadelt. Man hat Sie an der jahrhundertelang eingeübten Kunst teilnehmen lassen, die ganze Unbill des Lebens über einen einzigen, geballten Witz abzuleiten. Ich würde es das Prinzip des heilsamen Schockers nennen. »Strom macht Locken«, kommentierte ein gut gelaunter Hobbyschäfer, als sich der Nachbar an seinem Elektrozaun einen kleinen Schlag holte.
    Die Kunst dieser klugen Druckableitung kombiniert mit einem hammerharten Pragmatismus ist nicht vom Himmel gefallen. Die Brandenburger mussten sich das – wie das meiste im Leben – erst hart erarbeiten. Im Bauern- und Soldatenland Brandenburg, dessen Sumpf- und Sandböden sich jahrhundertelang besser zum Marschieren und Verwüsten als zum Säen und Ernten eigneten, auf dem munter die Seiten wechselnde Herrscher das Blut ihrer Armeen vergossen, auf dem immer wieder die schwersten Kämpfe der Kriege ausgetragen wurden, kann es schnell ums Ganze gehen, um Leben und Tod.
    Heute ist das Leben leichter geworden, und harte Arbeit fällt meistens nicht auf dem eigenen Hof, sondern in einer weit entfernten, größeren Stadt an. Häufig fällt auch nichts mehr an. Die Buslinie in die größere Stadt ist eingestellt. Der alte Tante-Emma-Laden ist mit Brettern vernagelt. Graffiti ist das einzige Schmuckelement an den Häusern, Alkoholkonsum manchmal die einzig optimistisch stimmende Freizeitbeschäftigung.
    Zarte, nett gemeinte Späße für Empfindsame sind im Land der abgehärteten Seelen selten. Schallendes, befreites Lachen kommt auch nicht gut an. Man pariert den Witz mit steinerner Miene, um ihn jedoch gleich darauf zu überbieten. Ein Beispiel aus meinem Potsdamer Friseursalon: Das Schnippeln und Schneiden ging eine Weile wortlos vor sich, untermalt vom einheimischen Radiosender. Als nur noch Stammkunden anwesend waren, ließ meine Friseurin über meinen nassen Kopf hinweg ihrem aktuellen Gedanken freien Lauf: »Ich bin morgen zu einer Grillparty eingeladen. Was bringt man eigentlich auf Grillpartys so mit?« Kurze Pause, das Radio dudelte, dann sagte der Kollege neben ihr, föhnend: »Prostituierte. Kommt imma jut.« Ungerührtes Herumwerkeln der Friseurin an meinem Kopf. »Nimm am besten welche aus Rumänien«, ergänzte ein zweiter Kollege. »Mit Bart.«
    Auch am friderizianischen Hof waren die Witze gern derb, mitunter frivol. Pubertäre Pickel bei einem seiner liebsten Lustknaben soll Friedrich II. damit kommentiert haben, dass die Franzosen gekommen wären; als Anspielung auf die Syphilis.
    Sollten Sie also überlegen, ins Brandenburgische einzuheiraten oder sich hier anzusiedeln, weil die Wiesen im Frühjahr so verlockend duften oder der Pirol so schön singt, testen Sie bitte vorher zwei Dinge:
Ab wann bleibt Ihnen ein Lachen im Halse stecken?
Haben Sie das Zeug zum Eremiten?
    Sie sollten nicht vergessen, dass Ihre Entscheidung eine Entscheidung für immer sein wird. Ein Zurück gibt es nicht. Denn haben Sie erst einmal gespürt, wie tief Ihr eigenes Wesen reicht, wenn es sich ungestört entfalten kann (nachdem Ihnen nach tagelangem Schweigen die Idee gekommen ist, in sich hineinzulauschen, ob da nicht ein Echo heraufklinge, das Ihnen wenigstens das Gefühl geben möge, da sei noch wer); haben Sie diese Entdeckung einer stillen inneren Fülle erst einmal gemacht, wird jede Reise in die Ferne, sei es ins verschnatterte Sachsen oder ins lärmig-trunkene Bayern, zum Schock, zu einem Anschlag auf Ihre Nerven. Ein Jahr Brandenburg, und schon werden Sie völlig ausgelaugt sein, wenn Sie auch nur einmal durchs

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