Gebrauchsanweisung für Südengland
zweifelhaften Aussichten auf Erfolg. Die Papierfabrik gibt es noch, doch bietet der Hersteller von Produkten aus Altpapier nur wenige Arbeitsplätze. Ansonsten bleibt nur die Hoffnung auf einen Aufschwung durch den Tourismus, der aber wegen der Folgen der Maul- und Klauenseuche auch nicht boomt.
Gemeinsam ist den wenigen großen Städten des Südens ihre Lage am Meer. Handel und Marineaktivitäten verliehen Hafenstädten wie Portsmouth, Southampton, Plymouth und Bristol Bedeutung. Mit 440000 Einwohnern schlägt Bristol die anderen Städte um fast hundert Prozent. Eine größere Stadt gibt es im Süden nicht.
Aber wer sucht nach pulsierenden Großstädten, wenn man kleinstädtische Juwele wie Canterbury, Salisbury, Bath und Exeter findet. Nehmen wir noch Kleinode wie Winchester und Wells hinzu – wahre Pilgerstätten für Historiker, Architektur- und Literaturbegeisterte. Überhaupt die Literatur: Ganz Süd- england ist ein Quell literarischer Meisterwerke. Sie könnten Ihren gesamten Urlaub in eine Literatour umwandeln. Eine der großen und bekanntesten Literatinnen ist Jane Austen, die Anfang des 19. Jahrhunderts mit Charme, Humor und spitzer Feder die Gesellschaft ihrer Zeit in mikroskopischer Feinarbeit sezierte. Sie schuf dabei Figuren, deren Schwächen und Stärken auch fast 200 Jahre später noch aktuell sind. Mr. Darcy, hartnäckiger Junggeselle aus »Stolz und Vorurteil« dürfte auch heute noch zu den begehrtesten Männern gehören. Der aufmerksame Englandreisende wird in der modernen englischen Gesellschaft durchaus Züge und Eigenschaften finden, die ihm aus der Lektüre von »Stolz und Vorurteil« oder »Sinn und Sinnlichkeit« hinlänglich bekannt sind. Da alle Jane-Austen- Romane mehrfach verfilmt worden sind, kann er sich, ausgerüstet mit dem entsprechenden Führer des Britischen Fremdenverkehrsamts, gleich auch noch die historischen Bauwerke ansehen, die als Filmkulisse dienten. Dazu gehören zum Beispiel Montacute House in Somerset oder das ganze Dorf Lacock in Dorset (die zu dem Dorf gehörige Abbey wurde übrigens für den Harry-Potter-Film in die Zauberschule Hogwarts umgewandelt).
Jane Austen hielt sich nicht lange mit Landschafts- beschreibungen auf, dafür lag ihr Augenmerk zu sehr auf den Spleens ihrer Zeitgenossen. Doch eine Stadt, die neben London eine herausragende Rolle in ihren Werken spielt, ist Bath, die Gesellschaftsmetropole des 18. Jahrhunderts, in der auch Jane Austen einige Zeit ihres Lebens verbrachte. Zeremonienmeister und König der Spieler Richard »Beau« Nash (1674-1761) hat dem in der Biegung des Flüßchen Avon gelegenen Badeort, den schon die Römer zu schätzen wußten, den Ruf der elegantesten Stadt des britischen Empires eingebracht. Noch heute gilt Bath als schönste Stadt Südenglands. Pro Jahr kommen etwa dreißigmal so viele Besucher wie der Ort Einwohner hat (85000). Jeder, der schon einmal versucht hat, mit dem Auto in die Stadt zu kommen, um auf den Spuren von Miss Catherine Morland und Anne Elliot, den Heldinnen aus »Kloster Northanger« und »Überredung«, durch die Versammlungssäle und entlang der georgianischen Architektur zu wandeln, wird dies gerne glauben.
Jane Austen starb 1817 in der Königsstadt Winchester. Das Haus Nr. 8, College Street in der Nähe der Kathedrale und direkt neben der ältesten Public School (Privatschule) des Landes, Winchester College, gelegen, gehört zum Pflichtprogramm auf der Jane-Austen-Pilgerstrecke durch Südengland. Allerdings müssen sich die Fans damit begnügen, die Außenansicht des schlichten Gebäudes zu fotografieren, ist das Haus doch private Wohnstätte und kein Museum.
Winchester war einst die Hauptstadt des angelsächsischen Königreichs Wessex, dem Gebiet der West Saxons, die im 6. Jahrhundert in Hampshire siedelten und immer weiter nach Westen und Norden vordrangen. Seit Egberts Krönung im Jahr 827 war Winchester Hauptstadt von ganz England. Erst Ende des 17. Jahrhunderts verlor es diesen Status für immer an die Metropole London. Die einstige Bedeutung Winchesters läßt sich nur noch erahnen. Doch der Name Wessex lebt weiter: Anläßlich seiner Hochzeit mit Sophie erhielt der jüngste Sproß der Queen, Prince Edward, den Titel Duke of Wessex. Gehen wir zumindest davon aus, daß Queen Elizabeth dabei das alte Königreich und nicht den fiktiven Landstrich Südenglands meinte, der der Phantasie des viktorianischen Schriftstellers Thomas Hardy zu verdanken ist. Seine Geschichten sind in den Grafschaften
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