Geburtstag in Florenz
ich so lange zum Aufstehen. Ach, es ist schon eine üble Sache, das Altwerden. Innerlich spürt man überhaupt keine Veränderung – ich jedenfalls nicht –, und darum kommt man sich vor wie eingesperrt in einem Körper, den man kaum noch als den eigenen erkennt. Mir wär’s gleich, und wenn ich morgen sterben müßte. Ganz im Ernst. Das Leben macht mir keinen Spaß mehr, und anderen kann ich weder nützen noch Zierde sein. Darum bin ich so gern mit Celia zusammen, weil sie mir das Gefühl gibt, ich wäre doch noch zu etwas gut. Giorgio meint zwar, sie tue es nur aus Freundlichkeit, aber selbst wenn. Wir tauschen Bücher aus – sie ist nämlich Schriftstellerin und liest genausoviel wie ich, und ich meinerseits lese für mein Leben gern englische Romane. Aber mal ehrlich, wie vielen Menschen kann man Bücher leihen und sicher sein, daß man sie auch wiederbekommt? Könnten Sie auch nur für einen Ihrer Freunde die Hand ins Feuer legen?«
»Na ja, ich bin kein …«
»Sehen Sie! Wollen Sie auch bestimmt keine?« Sie zündete sich eine neue Zigarette an. »Celia ist die einzige – was bei ihr als Schriftstellerin natürlich verständlich ist. Die sind übrigens für sie.« Und die alte Dame klopfte auf den Stoß Taschenbücher auf der Armlehne des Sofas.
Der Maresciallo sah sie an und wartete. Ihren Diskurs über Bücher verfolgte er nur mit halbem Ohr, eine der Angewohnheiten, die seine Frau verärgerten: Wenn man ihm etwas erzählte, verlor er irgendwann den Anschluß. Im Augenblick beschäftigte er sich mit dem Bild der Frau, die in ihrem eigenen Körper gefangen war. Die grauen gewellten Haare der Signora waren adrett frisiert; sie hatte tiefblaue Augen, und man sah ihr an, daß sie zeitlebens sehr hübsch gewesen war. Sie trug weder Make-up noch Schmuck.
»Und nun frage ich Sie: Was sollen wir Ihrer Meinung nach tun? Giorgio würde sagen, es sind meine Nerven, ich weiß, aber er ist verreist und wird es erst erfahren, wenn er mich morgen zur gewohnten Zeit anruft. Er war schon wütend, weil ich den Priester angerufen habe.«
Der Maresciallo sah sich ertappt und versuchte seine Unaufmerksamkeit zu überspielen.
»Sie glaubten demnach, man bräuchte sowohl einen Priester wie …«
»Einen Priester! Nicht in meinem Haus. Hier setzt kein Pfaffe den Fuß herein, es sei denn, ich würde völlig den Verstand verlieren. Ich hab’s bei zu vielen meiner Freundinnen miterlebt, was passiert, wenn man erst den Priestern in die Hände fällt. Und ich hab’s auch zu Giorgio gesagt, es ist ja nicht so, sag ich, als ob sie hinter irgendwas anderem als deinem Geld her wären – andernfalls wär’s womöglich interessanter! Was meinen Sie? Also ich will Sie ja nicht drängen, aber finden Sie nicht auch, wir sollten was unternehmen? Ich hab fünf-, sechsmal versucht anzurufen – Giorgio würde sagen, ich bin eine Plage, und sie wollen nur nicht gestört werden, aber man weiß ja nicht, wer am Telefon ist, bevor man abhebt, oder? Und Sie sehen ja selbst, wie behindert ich bin. Ich hab zwar mit dem Gedanken gespielt, rüberzugehen und bei ihnen zu klopfen, aber womöglich würde ich in der Dunkelheit stürzen, und was dann? Alles, worum ich Sie bitte, ist, daß Sie nachsehen und versuchen, sich bemerkbar zu machen. Zu Hause sind sie nämlich. Ihr Wagen steht draußen, und es brennt auch Licht. Wenn Sie da durchs Fenster schauen, sehen Sie’s.«
Der Maresciallo stand auf, trat ans Fenster und starrte hinaus in die Dunkelheit. Mit einiger Anstrengung konnte er den gepflasterten Hof erkennen, den er überquert hatte, seinen Wagen, den Fahrer und das erleuchtete Fenster in der umgebauten Scheune.
»Wer sind diese Leute, und wann haben Sie sie zuletzt gesehen?« Sein Blick war immer noch nach draußen gerichtet.
»Celia, ich hab Ihnen doch grade von ihr erzählt. Celia und ihr Mann Julian. Sie sind beide drüben. Ich hab sie gegen halb sechs zusammen heimkommen sehen. Sie waren einkaufen. Ich bin ihnen bis zur Tür entgegengegangen – nicht aus Neugier, das würde ich nie tun, aber Celia hatte mir frische Milch mitgebracht. Wir verabredeten uns für zwischen sechs und halb sieben auf einen Drink und wollten bei der Gelegenheit auch ein paar Bücher austauschen – ja, und jetzt ist es fast neun, und die beiden gehen nicht ans Telefon! Ach, ich bin wirklich eine törichte alte Frau, nicht wahr?«
Der Maresciallo wußte keine Antwort.
»Welches Zimmer ist es denn, wo das Licht brennt?«
»Das ist das Bad. Ich sah das
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