Gedankenlesen durch Schneckenstreicheln
nicht, wenn ein echtes Käferweibchen vorbeikommt, die Brille runternimmt, den Zopf aufmacht und die Haare schüttelt. Wer jetzt vorschnell über den Juwelenkäfer urteilt, sollte bedenken, dass dieser überproportionale Reiz auch bei Menschen wirkt. Immerhin hat Pamela Anderson ihre Karriere eher nicht ihrem gewaltigen IQ zu verdanken. Und ähnlich wie sich Menschenmänner manchmal für Frauen ruinieren, so hält auch der Juwelenkäfer bis zum bitteren Ende durch. Er macht so lange weiter, bis er vor Erschöpfung stirbt. Das heißt, er will den großen Tod im kleinen erzwingen.
Oder er wird, wenn er schon erschöpft ist, von Ameisen, die von der Freibierneige angelockt wurden, attackiert und gefressen. Man kann sagen, der Australische Juwelenkäfer verliert beim Flaschendrehen immer. Dass er sich quasi auf die Rote Liste rammelt, steht aber nicht zu befürchten. Es gibt noch genug Käfer, bestandsgefährdend ist dieser Fetisch nicht. Außerdem hat die zuständige Brauerei nach der Verleihung des Ig Nobel Prize verlautet, das Flaschendesign zu verändern, damit die Juwelenkäfermännchen nicht so blöd dastehen vor der Welt. Menschen sind schon seltsame Wesen. Sie sind die erfolgreichsten und rücksichtslosesten Raubtiere, die wir kennen. Ohne mit der Wimper zu zucken, lassen sie etwa jedes Jahr Hunderte Menschen im Mittelmeer ertrinken, die für ein besseres Leben alles riskieren, weil sie in ihren Herkunftsländern keine Zukunft sehen. Aber um einem Käfer die Fortpflanzung nicht unnötig zu verkomplizieren, wird die Produktionsstraße einer Brauerei umgestellt.
Ob auch die Erzählung Die Verwandlung anders geendet hätte, wäre Franz Kafka Australier gewesen, lässt sich allerdings nicht mit Bestimmtheit sagen. Jedenfalls gilt für den Juwelenkäfer: Es gibt kein richtiges Leben auf Flaschen.
Ameisen gähnen übrigens vielleicht. Man hat beobachtet, dass Ameisen nach dem Aufwachen Bewegungen machen, die man als Strecken, Rekeln und Gähnen interpretieren könnte. Wenn es sich tatsächlich um Gähnen handelt und wenn das ansteckend wäre, dann sollten wir Menschen uns schnellstens mit den Ameisen als solchen anfreunden: Doppelbesteuerungsabkommen, Meistbegünstigungsklauseln, Freihandelsverträge, das ganze Programm. Ameisen sind stark, gut organisiert und bei Bedarf extrem grausam. Wenn eine Ameise stirbt, dann fällt das den anderen Ameisen im Haufen mitunter erst einmal gar nicht auf, und sie lassen die Leiche einfach herumliegen. Nach etwa zwei bis drei Tagen aber beginnt eine tote Ameise Ölsäure abzusondern und zeigt damit den anderen an: „Ich bin eine Ex-Ameise, bitte 1x aus dem Weg räumen.“ Was dann auch umgehend passiert. Ameisen kommunizieren nämlich nicht wie wir hauptsächlich audiovisuell, sondern chemisch, das heißt über Duftstoffe. Und Ölsäure bedeutet: verzogen in den Ameisenhimmel/über den Jordan gegangen. Das ist einerseits eine sehr pragmatische Lösung, die andererseits auch Nachteile in sich birgt. Wenn man nämlich einer quietschlebendigen Ameise ein bisschen Ölsäure auf den Rücken träufelt, dann wird sie von ihren Artgenossen gleichfalls abtransportiert. Widerspruch zwecklos. Auch wenn die lebendige Ameise strampelt und jauchzt, das Ableben tatkräftig leugnet und zum Beweis ihres heiteren Gemütszustandes mit der Hand unter der Achsel furzt: keine Chance. Was nach Ölsäure riecht, wird ausgemustert. Da ist die Kommunikation der Ameisen nicht sehr vielschichtig.
Gut, das gibt es bei uns Menschen auch, da heißt das Entfernen von ungewollten Artgenossen allerdings Sanierung oder Gesundschrumpfen, und wer möglichst viele funktionstüchtige Exemplare unbeirrt gegen ihren Willen vom Arbeitsplatz entfernt, wird nicht für ein hirnloses Insekt gehalten, das tot nicht von lebendig unterscheiden kann, sondern Managerin des Jahres oder in seiner Firma Leiter des Bereichs Corporate Human Resources.
(In der Ameisenwelt sollten Hersteller des Scherzartikels Schreckölsäure jedenfalls umfangreiche Marktforschung betreiben, bevor sie die Massenproduktion anlaufen lassen.)
Was jedoch eindeutig für die Ameisen spricht: Es sind viele. Zusammengerechnet übersteigt die Masse der Ameisen weltweit die Masse der Menschen beträchtlich. Wer jemals den Film Phase IV gesehen hat, weiß, dass mit Ameisen nicht gut Kirschen essen ist. Außerdem weiß er dann genau, was Spiegelneuronen sind. Achtung, Achtung, Spoiler – Alert. Wenn Sie den Film nicht kennen, und aber neugierig geworden sind,
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