Gedenke deiner Taten
nach Hause kam, hatte sie sich gar nicht so gefreut.
»Geht es schon besser?«
Angelo stand neben ihr. Sie hob den Kopf und lächelte ihn scheu an, woraufhin er in den Himmel schaute. Er war immer so lieb zu ihr, und manchmal verspürte sie den Wunsch, ihre Hand in seine gleiten zu lassen. Er roch nach dem Spülmittel, mit dem er die Teller abwusch.
»Danke, dass du mein Chaos beseitigt hast«, sagte sie und legte ihre gefalteten Hände in den Schoß.
»Keine Ursache.«
Sie spürte, dass er noch mehr sagen wollte, es sich aber verkniff. Er hatte sie ein paarmal zum Essen eingeladen. Sie hatte abgelehnt und gesagt, sie lebe mit jemandem zusammen. Irgendwann hatte Angelo aufgegeben, aber er lächelte sie immer noch oft und hoffnungsvoll an. Sie hatte erwartet, dass er nach dem Korb sauer oder gemein zu ihr sein würde. Aber er war genauso freundlich wie immer. Aus irgendeinem Grund war Emily überzeugt, dass er eine sehr nette Mutter haben musste, die ihm beigebracht hatte, Frauen zu respektieren. Das gefiel ihr an Angelo am besten.
»Ich glaube, du wirst da drinnen gebraucht«, sagte Angelo und zog eine zerdrückte Zigarettenpackung aus seiner Brusttasche. Er klopfte eine heraus und zündete sie an. »Sie muss ins Büro, Papierkram erledigen.«
»Okay«, sagte Emily.
Carol bewahrte alle Einnahmen in einem Safe unter ihrem Schreibtisch auf. Freitags erledigte sie die Büroarbeiten. Wenn das Blue Hen am Freitagabend schloss, brachte sie die Einnahmen zur Bank und warf sie in den Nachtsafe. Emily hatte gehört, wie sich Carols Mann Paul über diese Angewohnheit beschwert hatte. Er war der Meinung, sie solle das Geld täglich mitnehmen, damit nicht so viel Bares im Büro herumlag. Carol fand den Vorschlag gut, aber sie hatte ihn anscheinend noch nicht in die Tat umgesetzt.
Carol war ein Gewohnheitstier, und am liebsten war es ihr, wenn jeder Tag gleich verlief. Sie hasste Veränderungen. Vom Auf- bis zum Abschließen war jeder Handgriff – Kaffee kochen, Orangen auspressen, Salz-, Zucker- und Pfefferstreuer auffüllen – Teil eines festgelegten Rituals.
Emily mochte das. Carol war verlässlich, ihre Handlungen vorhersehbar. Sie verheimlichte ihre Absichten nicht, ihre Reaktionen kamen nie überraschend. Das war tröstlich für Emily, die nie wusste, wann oder warum Dean das nächste Mal in die Luft gehen würde. Oder ihre Mutter. Emily wusste nie, ob sie freundlich oder grob zu ihr sein würde. Im Blue Hen gab es nur eine Regel: Sei fleißig und freundlich, dann läuft alles wie von selbst. Diesen Anspruch sollte man zum Lebensmotto erheben. Aber das richtige Leben sah natürlich anders aus.
Als Emily wieder im Restaurant war, fühlte sich der Tag tatsächlich wie neu an. Sie ließ sich von der Routine mitziehen und hatte bald ihren Arbeitsrhythmus gefunden. Sie machte keinen einzigen Fehler mehr. Am Mittag stellte Carol ihr einen Teller mit Hackbraten, Kartoffelbrei, Sauce und angedünstetem Gemüse hin. Emily hatte gar nicht gewusst, wie hungrig sie war, sie aß alles auf und hätte sogar noch mehr essen können. Sie merkte, dass Carol sie beobachtete und schließlich herüberkam, um sich an den Tisch zu setzen.
Im Blue Hen herrschte Flaute zwischen Frühstück und Mittagessen, und nur wenige Gäste waren anwesend. Eine Mutter fütterte ihren kleinen Sohn mit Haferbrei, ein alter Mann las Zeitung, und am Zweiertisch am Fenster saß ein junges Pärchen und hielt Händchen.
»Wie hat’s geschmeckt?«, fragte Carol und tippte an Emilys Teller. Wenn Emily unbeobachtet gewesen wäre, hätte sie den Teller abgeleckt.
»Schrecklich«, antwortete Emily, »das lasse ich zurückgehen.«
Carol lächelte und tätschelte Emilys Hand.
»Du hast nicht gefrühstückt.«
»Nein«, sagte Emily und dachte an Dean, wie er schmollend mit seinem Kaffee und einer Zigarette am Küchentisch gesessen hatte. Lieber ging sie ohne Frühstück aus dem Haus, als sich weiter zu streiten. Der giftige Qualm und Deans feindselige Art hatten sie vertrieben.
»Ist alles in Ordnung, Liebes?«, fragte Carol.
»Ja«, sagte Emily, »wirklich. Tut mir leid wegen heute. Es wird nicht wieder vorkommen.«
»Keine Sorge, Kleines.« Carol lehnte sich zurück und scannte blitzschnell das Restaurant. Wenn irgendetwas in Unordnung war, sprang sie sofort auf, richtete es und eilte an den Tisch zurück. Aber offenbar war sie zufrieden. »Jeder hat mal einen schlechten Tag. Wie läuft es an der Uni?«
»Gut«, sagte Emily. »Toll.«
Carol ließ
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