Gedrillt
zweihundertfünfzig Hektar gutem Ackerboden und einem zusammengewürfelten Ensemble kleiner Gebäude. Dazu gehörten eine prächtige Zehntenscheuer, groß genug, die Abgaben für einen Pfarrer zu speichern, und Ställe für sechs Pferde. Das aus braunem Stein gebaute Gutshaus hatte während der vergangenen Jahrhunderte von geschmacklosen Besitzern allerlei hinnehmen müssen, so
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einen neugotischen Turm und einen unpassenden Seitenflügel, in dem sich die großen Billardzimmer befanden.
Ich war es gewöhnt, bei meiner Ankunft hier ein Dutzend Wagen in der Auffahrt und, wenn die Sonne schien, im Schatten der drei hohen Ulmen, die die Grenzen des Rasens markierten, abgestellt zu finden. An solchen Tagen hallte das Haus wider von den Stimmen dankbarer Gäste. Heute nicht.
Die Auffahrt war leer, abgesehen von einem
schlammbespritzten Landrover, aus dem drei junge Männer in verblichenen Jeans Gerät ausluden, darunter, wie ich bemerkte, drei grellrote Schutzhelme und drei Paar Ohrenschützer. Der Regen hatte aufgehört, aber es tropfte noch aus den pitschnassen Bäumen, und der Rasen quatschte, wo man hintrat.
Vor der Haustür klapperte der Metallrost, als ich darauf trat, und erinnerte mich so daran, mir den Schmutz von den Schuhen zu kratzen. Ich stieß die Tür auf und betrat den Flur.
Das Haus war still und, wie diese Gutshäuser alle, dunkel.
Durch die winzigen Fenster in den dicken Steinmauern fielen nur kleine Rechtecke von Licht, die farbige Brücken aus dem Orientteppich schnitten. Plötzlich hörte man durch mehrere geschlossene Türen aus dem Wohnzimmer Lohengrin singen:
»In fernem Land«. Mrs. Porter, seine stets fröhliche und zuverlässige Köchin, Haushälterin und Faktotum in jeder Hinsicht, kam aus der Küche, hieß mich willkommen und nahm mir meinen Mantel ab. Sie hielt ihn noch im Arm, als sie an mir vorbeiging, um einen Blick aus der Haustür zu werfen.
Genüßlich schnupperte sie die Luft, wie ein U-Boot-Kommandant die Nacht schmecken mag, nachdem er lange unter Wasser gewesen ist. Über ihre Schulter sah ich, daß einer der Forstarbeiter einen roten Helm und Ohrenschützer aufgesetzt hatte und nun einen der Bäume hinaufkletterte. Er wurde sehr naß.
Sie kam zu mir zurück. »Ja, ich dachte doch, ich hätte Ihren
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Wagen gehört«, sagte sie. »Ich freue mich so, daß Sie gekommen sind, Mr. Samson. Ich habe mir Sorgen gemacht …
mache mir noch immer Sorgen. Er wird so apathisch, wenn er krank ist.«
»Wirklich?« sagte ich. Es fiel mir nicht leicht, mir einen teilnahmslosen Onkel Silas vorzustellen.
»Er ist aufgestanden und hat sich angekleidet, als er hörte, daß Sie kommen. Ich habe den Arzt deswegen angerufen, aber er sagte, das sei in Ordnung, solange er nicht ins Freie ginge, sich nicht überanstrengte und sich warm hielte.«
»Typisch Arzt«, sagte ich.
Sie lächelte unsicher. Frauen wie Mrs. Porter ängstigen sich, wenn ihr Glaube an die Medizin angegriffen wird. »Der Arzt hat gesagt, daß Mr. Gaunt jeden Augenblick von uns genommen werden könnte«, sagte sie in einem Ton, der mir wohl in Erinnerung rufen sollte, daß zu dem Drama, in welchem Silas’ Arzt eine so führende Rolle spielte, ich nicht mehr als ein Statist war. Ich machte ein passend beschämtes Gesicht, und sie sagte: »Er schreibt seine Memoiren. Arme Seele! Er scheint zu wissen, daß seine Zeit gekommen ist.«
Seine Memoiren! Politische Karrieren würden am Ende sein, mancher gute Ruf ruiniert. Es war undenkbar, daß Silas jemals die Erlaubnis erhielt, ein solches Buch zu schreiben, aber ich widersprach ihr nicht.
»Er versteckt es, wenn ich ins Zimmer komme. Ich soll nichts davon wissen, aber ich habe Verdacht geschöpft, als er die kleine Schreibmaschine nach unten schmuggelte. Vor dem letzten Anfall habe ich ihn dann jeden Tag tippen hören. Im Musikzimmer. Da ist er übrigens jetzt. Gehen Sie hinein, ich werde Ihnen Tee bringen.«
Das »Musikzimmer« war das Wohnzimmer, in dem Silas seine Hi-Fi-Anlage und seine Schallplattensammlung untergebracht hatte. Dort pflegte er jeden Abend zu sitzen und Musik zu hören. Für das Fernsehen hatte er nicht viel übrig. Ich
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zögerte, ihn bei seiner Oper zu stören, aber Mrs. Porter kam mit zur Tür und sagte: »Gehen Sie ruhig rein.« Dann setzte sie in fast tonlosem Flüstern, das zu verstehen mir ihre übertriebenen Lippenbewegungen halfen, hinzu:
»Wahrscheinlich schläft er, das sind diese Pillen.«
Ich platzte also ins Zimmer.
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