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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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Ich sah ihn nicht gleich, denn er saß mit dem Rücken zu mir mit Blick auf das Kaminfeuer. Er trug ein dunkles Hemd und ein Smokingjackett aus pflaumenfarbenem Samt, nicht einmal das seidene Kavalierstaschentuch in der Brusttasche fehlte. So kostümiert wäre zu König Eduards Zeiten ein Schauspieler ins Café Royal gegangen. Eine Schottendecke lag neben ihm auf dem Boden.
    Sie war ihm von den Knien gefallen, vielleicht hatte er sie auch weggestoßen, als er mich kommen hörte. Seine Füße – in leuchtendroten Hausschuhen – ruhten zwischen den Schürhaken am Kamin. Die Musik war laut, und es roch nach Holzrauch. Wie von der Zugluft der geöffneten Tür angefacht, begann das Feuer hell zu brennen und ließ gelbe Gebilde über die niedrige Decke flackern. »Wer ist da?« brummte er. Er schlief nicht.
    Leute, die Silas Gaunt gut kannten, und zu diesen war mein Vater zweifellos zu rechnen, pflegten seine vollendete Höflichkeit, seine ritterlichen Manieren und seinen bezwingenden Charme zu rühmen. Meine Mutter hatte ihn einmal einen Flaneur genannt. Ich hatte das Wort bei dieser Gelegenheit zum erstenmal gehört. Nach ihren Schilderungen wäre man geneigt gewesen, sich Gaunt als englischen Exzentriker nach dem Muster von Henry Fieldings Squire Allworthy vorzustellen. Doch der Silas Gaunt, der mir aus eigener Erfahrung bekannt war, war ein verschlagener alter Teufel, der, je nachdem, wie es in seine langfristigen Pläne paßte, die dicke Haut eines Nashorns oder die Empfindsamkeit eines Schmetterlings zeigte.
    »Ich hoffe, ich störe nicht«, sagte ich sehr ruhig.

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    »Ich höre Lohengrin, verdammt noch mal!« sagte er. Ich war etwas erleichtert, wie immer nun sein körperlicher Zustand sein mochte, wenigstens seinen Kampfgeist lebendig und ungebrochen vorzufinden. Als er dann den Kopf nach mir umdrehte und das Feuer heller aufloderte, sagte er: »Ach, du bist’s, Bernard. Ich dachte, es wäre wieder Mrs. Porter, sie ist dauernd hinter mir her.«
    Während meiner Kindheit hatte Silas immer Zuneigung zu mir bekundet, aber jetzt war er alt und hatte sich auf seine eigenen Anliegen – Alter, Krankheit, Tod – zurückgezogen.
    Seine Anteilnahme hatte nachgelassen. »Sie macht sich Sorgen um dich, Silas«, sagte ich.
    »Sie hat sich mit diesem verdammten Kurpfuscher verbündet«, sagte er. Er schaltete den Plattenspieler ab, indem er den Tonabnehmer aus der Rille hob. Unter der transparenten Haube drehte die Platte sich weiter.
    Ich suchte mir einen Sitzplatz. Er hatte sehr abgenommen.
    Die Kleider waren ihm zu weit, so daß sein faltiger Hals jetzt dünn aus einem überbreiten Hemdkragen ragte. Im halbdunklen Raum waren Nippes, Pretiosen und Andenken an ferne Orte verteilt: Skarabäen, eine afrikanische Schnitzerei, eine zerbeulte Spielzeuglokomotive, eine Banderilla, ein Bergstock, in den die Namen bedeutender Gipfel
    eingeschnitten waren, ein winziger Buddha aus Elfenbein, ein zerbrochenes Kruzifix. Onkel Silas hatte mir einmal erzählt, daß er keine Erdbestattung wünschte. Er wollte nicht in geweihter Erde und auch in keiner Grabkammer liegen.
    Vielmehr wollte er, wie jetzt viele ägyptische Könige, im Kreise seiner Besitztümer im Museum ausgestellt werden.
    »Wir machen uns alle Sorgen um dich, Silas«, sagte ich.
    Das war eine etwas schwache Erwiderung, und er beschränkte sich darauf, mich böse anzustarren.
    »Der verfluchte Arzt will meine Großvateruhr«, sagte Silas.
    »Wirklich?«

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    »Nur deshalb kommt er. Er hat Augen für nichts anderes, wenn er hier ist. Neulich habe ich ihm gesagt, er möge doch mit seinem verdammten Stethoskop ihren Schlag prüfen, da er doch unbedingt wissen wolle, wie genau sie gehe.«
    »Vielleicht wollte er nur höfliche Konversation machen.«
    »Was ihn reizt, ist die Einlegearbeit, aber er hat Zentralheizung. Bei ihm würde die binnen sechs Monaten austrocknen und in die Brüche gehen.«
    »Wirklich eine sehr hübsche Uhr, Silas.«
    »Achtzehntes Jahrhundert. Ich habe sie von meinem Vater.
    Die Tafel an der Vorderseite hat sich ein bißchen verzogen.
    Einige Intarsien stehen eine Kleinigkeit vor. Die Uhr muß sehr sorgfältig poliert werden von jemandem, der sich darauf versteht. Mrs. Porter läßt keinen anderen dran. Sie zieht sie auch auf.«
    »Du kannst dich glücklich schätzen, daß sie sich um dich kümmert, Silas.«
    »Dieser verdammte Quacksalber will die Uhr, bevor ich sterbe. Ich weiß, worauf es ihm ankommt. Eine schriftliche Erklärung über den

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