Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung
beschäftigen.
Dies ist mit ein Grund, weshalb die NeuSTART gGmbH für die Bewährungshilfe einen strategischen Schwerpunkt ihrer Arbeit in der Einbeziehung ehrenamtlicher Bewährungshelfersieht; auch wenn diese bislang nicht mit den auffälligen und schwierigen Tätern beauftragt werden.
Mein Kollege Billy Meyer ist ebenfalls ein Beispiel für das Konzept der Betreuung von Straftätern durch ehrenamtliche Bewährungshelfer. Er leistet diese Arbeit in Basel für den dortigen Verein Neustart, in dem ehrenamtlich Engagierte auf Bewährung verurteilte Straffällige unterstützen.
Ein weit über diese Beispiele hinausreichendes Projekt beschreibt Dr. Karl Peter Rotthaus, der lange Jahre in seiner Funktion als Präsident des Justizvollzugsamts Rheinland für den Strafvollzug Verantwortung trug. In seinem Bericht „Ein ungewöhnlicher Weg zur Wiedereingliederung gefährlicher Sexualstraftäter“ 68 beschreibt er ein Projekt aus Kanada. Die Ausgangssituation war ähnlich wie bei den von mir beschriebenen Fällen: Lange Inhaftierung nach einem Sexualdelikt und große Ängste der Bevölkerung führten dazu, dass ein Täter nach der Entlassung keine Wohnung finden konnte. Die Angst und Empörung in der zukünftigen Nachbarschaft waren zu groß. Der Geistliche einer Mennoniten-Gemeinde gewinnt seine Gemeinde dazu, diesen Mann in ihrer Mitte aufzunehmen. Die Fachleute prognostizieren mit höchster Wahrscheinlichkeit einen baldigen Rückfall. Die Gemeinde bildet einen später „Circle of Support und Accountability (CoSA)“ benannten Kreis, der für Unterstützung und Verantwortlichkeit sorgt; man trifft sich täglich, hilft bei alltäglichen Besorgungen und Problemen. Gleichzeitig vertritt der Geistliche nach außen die Position, dass seine Gemeinde es schafft, den Mann vor einem Rückfall zu bewahren. Er reagiert also anders als die verantwortlichen Bürgermeister in Randerath, Insel, Freiburg oder anderswo. Er entschärft mit seinem optimistischen Einsatz die Stimmung in der Bevölkerung. Es kam nicht zu den bei uns erlebten Pogromstimmungen, und die Gemeinde schaffte es, den Mann über Jahre zu integrieren. Das Konzept entwickelte sich weiter, die Laien zogen bei Bedarf professionelle Helferwie Psychologen, Sozialarbeiter, Juristen und Polizisten bei. Die Kooperation ist erfolgreich und inzwischen gibt es nach Auskunft von Karl Peter Rotthaus über siebzig solcher CoSAs, die erfolgreich arbeiten.
Nach einem ähnlichen Prinzip betreut die freikirchliche Gefangenenhilfsorganisation „Schwarzes Kreuz“ 69 Gefangene. Die Mitarbeiter besuchen Inhaftierte bereits im Gefängnis, halten dort Gruppenabende ab und nehmen Männer, die aus diesen Gruppen entlassen werden, in ihren Familien und ihrer Gemeinde auf; es kann auch ein entlassener Sicherungsverwahrter sein, der so wieder Anschluss an das Leben in Freiheit findet.
Wie können wir das aushalten?
Bei allen Alternativen und bisherigen Anstrengungen werden wir als Gesellschaft aber damit leben müssen, dass Menschen anderen Menschen gefährlich werden, diese schwer verletzen und schädigen. Letztlich müssen wir diese „Abweichungen“ im Interesse eines freiheitlichen Zusammenlebens aushalten und als Last des Lebens annehmen. Juli Zeh hat in ihrem Roman „Corpus Delicti. Ein Prozess“ die Vision einer Gesellschaft entworfen, die Krankheit als Abweichung ausmerzen will. Wer sich in dieser Gesellschaft nicht an die strengen Gesundheits- und Wellnessprogramme hält, wird eliminiert. Die Gesellschaft hat sich zu einer Gesundheitsdiktatur gewandelt.
Wenn wir keine „Sicherheitsdiktatur“ in Analogie zu Juli Zehs „Gesundheitsdiktatur“ errichten wollen, bleibt der Weg des Aushaltens und des Nicht-Dämonisierens. Wir müssen die unterschiedlichsten Risiken als Lebensrisiken akzeptieren. Dazu gehören auch Sexualstraftaten. Oder die Risiken des Straßenverkehrs. Ein Beispiel: Die
Badische Zeitung
berichtet am 15. November 2010 unter der Überschrift „Unfallfahrer von Staufen zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt“. Das Gericht war nach Anhörung eines Verkehrsgutachters zumSchluss gekommen, dass der Angeklagte, ein fünfzigjähriger Fahrer eines Pkws, wegen überhöhter Geschwindigkeit ein sechsjähriges Mädchen mit seinem Auto angefahren und so schwer verletzt hatte, dass das Kind an den Unfallfolgen starb. Es war frontal vom Auto erfasst und 37 Meter weit durch die Luft geschleudert worden. Das Urteil lautete auf ein Jahr Freiheitsstrafe mit Bewährung, ein
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