Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung
dreimonatiges Fahrverbot und 1800.- Euro Geldstrafe. Der Fahrer sei schon mehrfach im Straßenverkehr auffällig geworden, habe auch zwangsweise nachgeschult werden müssen, weshalb eine Freiheitsstrafe zur Bewährung schuldangemessen sei. In der Berufungsverhandlung, über die die
Badische Zeitung
am 16. Juni 2011 berichtet, wird die Strafe auf neun Monate und das Fahrverbot auf einen Monat reduziert. Zu seinen Gunsten wurde das Eingeständnis, dass der Fahrer den Unfall durch überhöhte Geschwindigkeit verursacht hatte, als strafmindernd gewertet. Dass er seit der ersten Verhandlung weitere zwei Mal wegen überhöhter Geschwindigkeit und einmal wegen Überfahrens einer roten Ampel geblitzt wurde, war dem Gericht bekannt. Solche Urteile erscheinen milde im Vergleich zu Roser und Kraus; immerhin wurde ein Kind getötet.
In welcher Gesellschaft wollen wir leben?
In seinem Eröffnungsvortrag zum 28. Deutschen Jugendgerichtstag beantwortet Christoph Flügge, deutscher Richter am Internationalen Gerichtshof für das frühere Jugoslawien in Den Haag, die Frage, ob man alle Versuche vergessen könne, dem übertriebenen Sicherheitsbestreben die Idee der Freiheit entgegenzusetzen, mit einem JA.
Er sieht in den westlichen Demokratien, die Demokratie und Rechtsstaat in die Welt verbreiten wollten, eine sicherheitspolitische Entwicklung, die er besorgniserregend nennt. Er führt als Beispiele die deutsche Anti-Terror-Datei, die Diskussion um die sogenannte „Rettungsfolter“ und die Diskussionum die Sicherungsverwahrung an. Er zitiert den bayerischen Innenminister, der das einzig entscheidende Kriterium für die diskutierten Änderungen in der Gesetzgebung zur Sicherungsverwahrung darin sieht, dass rückfallgefährdete Schwerverbrecher nicht auf freien Fuß kommen. Verfassung und Menschenrechte kämen als Maßstab praktisch nicht mehr vor, und als Hoffnung blieben nur noch das Verfassungsgericht und der Europäische Menschenrechtsgerichtshof. 70
Wir können auf den Menschenrechtsgerichtshof hoffen. Inzwischen scheinen mehr Bürger diese Hoffnung zu haben. So gab es im vergangenen Jahr mehrere Urteile des EGMR, in denen die Bundesrepublik gerügt wurde. Neben den Urteilen auf die Klagen der Sicherungsverwahrten erhielt ein Kölner Organist in Straßburg Recht in seiner Auseinandersetzung mit dem kirchlichen Arbeitsrecht, eine Berliner Altenpflegerin erstritt sich ihr Recht auf Meinungsfreiheit in Straßburg.
Würden solche Urteile gegen Russland, China oder andere Staaten ergehen, würden in unserem Land wahrscheinlich Wellen der Empörung hochschlagen. Wir, als aufgeklärte Gesellschaft, sollten uns entscheiden, ob wir es akzeptieren, dass unser Staat regelmäßig von Internationalen Gerichten wegen Menschenrechtsverletzungen gerügt wird. Wer sich über die aktuellen Angriffe auf unsere Freiheitsrechte informieren will, kann eine Zusammenstellung von Fällen bei Ilija Trojanow und Juli Zeh nachlesen. 71
Aus all diesen Bedenken und Sorgen um die freiheitlichen Bürgerrechte wird meines Erachtens deutlich, dass es bei der Diskussion um die entlassenen Sicherungsverwahrten letztlich nicht nur um diese geht. Sie werden aber als eine zahlenmäßig kleine Gruppe, die weder eine Lobby hat noch irgendwelche Sympathien für sich gewinnen kann, benutzt, um Instrumente zu erproben, die später, nach einer gewissen Gewöhnung, auf weitere Gruppen übertragen werden können. Unter diesem Aspekt sollten alle, die die Wahrung der bürgerlichen Freiheitsrechtezum Ziel haben, kritisch auf den Umgang mit dieser hervorragend stigmatisierbaren Gruppe achten. Loïc Wacquant warnt für die amerikanische Kriminalpolitik genau vor dieser Gefahr. Und die von ihm beschriebenen Instrumente der Anprangerung und Stigmatisierung lassen für unser System noch viele Entwicklungsmöglichkeiten erwarten. Von daher gilt: „Wehret den Anfängen“, bevor wir uns in einer Gesellschaft wiederfinden, die zumindest seit Ende des Zweiten Weltkriegs die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland so nie mehr wollten und sicher auch nicht wollen.
Das Ende der Sicherungsverwahrung
„Wer die Freiheit aufgibt,
um Sicherheit zu gewinnen,
wird am Ende beides verlieren.“
Benjamin Franklin
Die Warnung Benjamin Franklins fasst zusammen, was ich versucht habe darzustellen. Man könnte jetzt der Ansicht sein, die Hoffnung von Christoph Flügge auf dem Jugendgerichtstag in Münster mit dem Verweis auf das Bundesverfassungsgericht sei
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