Gefaehrliche Gefuehle
das?«
»Was soll ich denn sonst hier den ganzen Tag machen? Mir Berlin Tag & Nacht oder irgendeinen anderen Schwachsinn reinziehen? Nee, ich mache mir meine Daily Soap selbst. Pass auf …«
Sie klickte auf ihrem Tablet-Computer herum und zeigte mir wechselnde Bilder und ratterte dazu die Namen und charakterlichen Schwächen der Protagonisten herunter. »Das hier ist Schwesternhelferin Tülin. Wenn sie einer anmotzt, fängt sie sofort an zu flennen. Das ist Dr. Klinger, den hast du schon gesehen. Ich nenne ihn auch Doktor-wo-ist-mein-Rezeptblock. Der verschusselt immer alles und kackt dann die anderen an, als ob sie was dafürkönnten. Die Schwestern hassen ihn! Das ist Krankenpfleger Igor, Kampfname The great big GÄÄÄHHHN, so langsam redet er. Das ist Schwester Caroline, die ist neu, steht aber schon auf der Abschussliste, da geht es irgendwie um Diebstahl, was Genaues weiß ich leider nicht. Noch nicht. Oh, Schwester Ulrike! Die ist fies, sage ich dir. Vorne rum total nett und hintenrum nur am Lästern, besonders über diese Jolanda, die Freundin von David Wöbke, und über mich. Natürlich, das machen ja alle hier am liebsten. Und das ist …«
»Rebecca«, unterbrach ich sie. »Woher hast du die ganzen Video-Aufnahmen? Die sind doch hier aus dem Zimmer. Und die Leute gucken immer genau in die Kamera.«
Rebecca guckte mich erwartungsvoll an, als hätte sie mir die Millionenfrage gestellt.
»Nee, das glaube ich jetzt nicht«, sagte ich und beugte mich näher zu ihr. »Ist deine Brille etwa …?«
»Meinst du vielleicht, ich habe sie nur, um schlau auszusehen?«, fragte sie, fummelte ein bisschen an der Brille herum und holte aus dem Bügel eine Micro-SD-Karte, die sie in ihren Tablet-Computer schob. Sie tippte auf ihrem Touchpad herum und hielt mir den Monitor hin. Und ich sah mich. In Rebeccas Krankenzimmer. Live und in Farbe. »Du hast eine Kamera in deiner Brille?«, stammelte ich.
»Die Kandidatin hat neunundneunzig Punkte!«
»Wissen das deine Eltern?«, fragte ich.
Rebecca schnaubte. »Meine Eltern wissen noch nicht mal, wozu das Internet da ist. Denen erzähle ich einfach, dass ich Computerzubehör brauche, und dann rücken sie die Kohle raus. Ein schlechtes Gewissen ist die beste Geldquelle, die es gibt. Nur für den Fall, dass deine Eltern dir mal den Geldhahn zudrehen, kann ich dir nur empfehlen, dir von ihnen ein Bein abhacken zu lassen.« Sie hatte während des Redens weiter in ihren Dateien gesucht und präsentierte mir jetzt eine Aufnahme von David Wöbke. »Und das hier ist Silvys Angebeteter. Den finden ja alle soooo toll.«
»Ich nicht«, warf ich ein.
»Willkommen im Klub«, sagte Rebecca. »Aber die Bewerberinnen stehen Schlange. Er war vorher mit einer Schwester Sarah zusammen, die ist aber weg, und jetzt ist er mit Jolanda zusammen. Von der habe ich leider keine eigene Aufnahme, nur hier das Bild von der Homepage.« Sie zeigte mir das Foto einer hübschen Dunkelhaarigen mit hohen Wangenknochen und einem Grübchen am Kinn. Sie hatte ein perfektes ovales Gesicht. Jolanda Wieczorek, PTA, stand darunter.
»PTA ist die Abkürzung für pharmazeutisch-technische Assistentin«, informierte mich Rebecca.
»Okay«, sagte ich etwas ratlos. »War interessant. Kann ich dir noch was bringen?«
Sie stutzte. »Was bringen? Nein. Ich dachte, du bist hier, damit wir den Racheplan aushecken!«
»Für Silvy?«, fragte ich. »Nee. Ich habe keinen Racheplan. Die kann mich mal, und wenn sie noch so viele Lügen über mich erzählt.«
»Blödsinn. Sag David Wöbke, dass sie Chlamydien hat«, schlug Rebecca vor.
»Nee«, entschied ich. »Auf so ein Niveau lass ich mich nicht herab.«
»Dann erzähl einfach die Wahrheit über sie. Das haut auch alle aus den Latschen.« In dem Moment spitzte sie die Ohren und bedeutete mir, dass ich still sein und mir wieder den Kopfhörer aufziehen sollte. »Ich habe auch ein Funkmikro«, sagte sie. »Für die Live-Übertragungen. Die Reichweite ist aber nicht so groß. Aber für das Schwesternzimmer reicht’s.«
Dort waren zwei Schwestern gerade dabei, über Rebecca herzuziehen, »dieses unausstehliche Miststück«.
»Mach das doch aus«, sagte ich und zog meinen Kopfhörer ab.
»Nein«, sagte Rebecca mit versteinerter Miene. »Die werden für jedes Wort büßen, das kannst du mir glauben.«
Ich trat zum Fenster und schaute in den Garten. Es war schon fast dunkel, aber die Straßenlaternen auf dem Weg durch den Park strahlten weiches gelbes Licht aus.
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