Gefaehrliche Gefuehle
Er hat angerufen«, rief ich aufgeregt.
»Wer?«, fragte Bastian und gähnte.
»Dimitri! Dimitri hat bei mir angerufen. Auf meinem Handy. Er kennt mich. Er weiß, wer ich bin. Er hat meine Nummer rausgefunden. Und er will seine Tasche wiederhaben. Jetzt gleich. Wir treffen uns um halb elf am Einkaufszentrum. Da gebe ich ihm die Tasche.«
Jetzt wurde auch Bastian langsam wach. »Dimitri? Hast du ihm etwa gesagt, wo ich bin?«
Ich musste mich echt zusammenreißen, um nicht zu schreien. »Nein, Bastian, ich habe ihm nicht gesagt, wo du bist, weil ich gar nicht weiß, wo du bist, weil du dich ja auch vor mir feige versteckst.«
»Gut«, sagte Bastian erleichtert.
Ich atmete tief ein. »Aber eines ist klar: Ich gehe nicht alleine zu der Übergabe. Das ist mir zu heiß.«
Es raschelte im Hörer. »Dann nimm deinen Bodyguard mit«, nuschelte Bastian unverständlich.
»Was?«
Er nahm den Hörer offensichtlich wieder richtig in die Hand, denn jetzt konnte ich ihn besser verstehen: »Du sollst deinen Bodyguard mitnehmen.«
»Nein«, sagte ich mit fester Stimme. »Ich nehme dich mit.«
»Was?«
»Du hast mich richtig verstanden. Du kommst mit. Und du bringst die Polizei mit.«
»Die Polizei?«, wiederholte er begriffsstutzig. »Aber …«
»Ja, für den Fall, dass er mich umbringen will. Ihr haltet euch im Hintergrund, und falls er mich attackiert, dann könnt ihr zugreifen.«
»Ach so«, sagte er.
»Wir müssen uns beeilen, Bastian. Treffpunkt ist in zwanzig Minuten am Osteingang des Einkaufszentrums.«
»Einkaufszentrum Sternstraße?«
»Ja, es gibt kein anderes, soweit ich weiß«, knurrte ich. »Ruf die Polizei an und komm mit ihr dahin. Ich kann das nicht machen. Vielleicht verfolgt er mich oder sonst was. Und wenn er die Polizei sieht, bevor ich ihm die Tasche gegeben habe, dann dreht er vielleicht durch.«
»Der Plan hört sich irgendwie nicht so toll an«, wandte Bastian ein. Die Trägheit in seiner Stimme machte mich rasend!
»Nein?« Jetzt fing ich doch an zu schreien. »Dann mach einen besseren Plan, du blöder Penner!« Beinahe hätte ich vor Wut aufgelegt, aber in letzter Sekunde fiel mir ein, dass ich Bastian nicht selbst anrufen konnte.
»Also gut«, sagte Bastian. »Ich komme.«
»Und du rufst die Polizei.«
»Und ich rufe die Polizei. Obwohl das auf lange Sicht vielleicht eher nicht so schlau …«
»Bastian«, presste ich durch meine aufeinandergebissenen Zähne. »Auf lange Sicht bin ich vielleicht tot, wenn du das nicht machst.«
»Schon gut, schon gut. Ich mach’s ja.«
»Schwöre es«, sagte ich. Er seufzte und leierte: »Ich schwöre es, Natascha, okay?« Bevor ich auflegte, meinte ich, noch das Schnappen eines Feuerzeugs gehört zu haben.
Dann rief Enzo doch noch an. Er war schon auf der Autobahn Richtung Norden. Ich erzählte ihm, dass Dimitri angerufen hätte und ich ihm jetzt gleich die Tasche geben würde.
»Nein«, stöhnte Enzo. »Das geht nicht. Du musst das verschieben!«
»Das kann ich nicht!«
»Okay«, sagte er. »Aber warte auf mich. Ich komme.«
»Du willst den Job sausen lassen?«, fragte ich.
»Bevor du dich allein mit der Russenmafia einlässt, lasse ich jeden Job sausen.«
»Du bist aber nicht mehr rechtzeitig hier«, sagte ich. »Ich treffe mich schon gleich mit ihm! Und wer weiß, wie sauer er erst wird, wenn ich nicht wie verabredet komme!«
»Aber du darfst da nicht alleine hingehen«, sagte er drängend.
»Tu ich ja auch nicht. Ich habe die Polizei eingeschaltet. Bastian bringt sie mit, für den Fall …«
Ich hörte Enzo vor Wut schnaufen. »Natascha«, sagte er noch einmal und seine Stimme war mit enormer Energie aufgeladen, die mich normalerweise in andere Sphären katapultiert hätte. Aber jetzt gerade war ich zu sehr damit beschäftigt, nicht durchzudrehen. »Warte auf mich. Ich sage meinem Boss, dass …«
»Nein, lass mal«, unterbrach ich. »Es wird schon hinhauen«, sagte ich mit aller Überzeugungskraft, die ich aufbringen konnte, und dann legte ich auf, bevor mich der Mut verließ. Es war zehn Uhr dreizehn. Ich holte die Tasche unter meinem Bett hervor und rannte die Treppe hinunter. Hedi trat wie gerufen aus dem Aufenthaltsraum. Unter anderen Umständen hätte ich sie gefragt, ob sie eigentlich die ganze Zeit hinter der Tür lauerte, um beim kleinsten Geräusch parat zu stehen. Meine Mutter rief aus der Küche: »Natascha! Ich habe Scones gebacken!«
Ich legte eine Vollbremsung ein. Ich ging zu ihr, umarmte sie fest und gab ihr ihr
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