Gefährliche Ideen
sonderlich, wenn ich mit meinen Aussagen über Kreativität bisweilen falsch liege,da ich es nicht als meine Aufgabe ansehe, ewige Wahrheiten zu verbreiten – das überlasse ich lieber den Geistlichen. 7 Mir geht es vielmehr darum, Fragen zu stellen, einschließlich solcher über den Prozess des Fragestellens.
Die Welt braucht Ketzer – Menschen, die sich mit dem Status quo nicht abfinden wollen.
Die Welt braucht Ketzer – Menschen, die sich mit dem Status quo nicht abfinden wollen. Vielleicht sind auch Sie dem falschen Glauben erlegen, dass die Ketzer ausstarben, als die Kirche (und insbesondere deren römisch-katholischer Zweig) ihre Rolle als Hüterin der ewigen Wahrheit verlor. Tatsache ist vielmehr, dass wir Ketzer heute dringender benötigen denn je und dass es in der heutigen Welt weit mehr Kirchen und Orthodoxien gibt, die es mit ketzerischem Denken herauszufordern gilt.
Heutzutage verlangt man von uns, eine ganze Reihe von Eigenschaften der Marktwirtschaft als sakrosankt hinzunehmen. Jeder soll einsehen, dass »Kreativität« und »Innovation« offensichtlich etwas Positives sind, und man erwartet, dass wir uns einem ständigen Veränderungsprozess unterziehen, so als wäre Veränderung zum Naturgesetz erhoben worden. Wer Innovation und Wandel infrage stellt, verärgert die Menschen nicht, sondern verwirrt sie nur, denn die überlieferten Wahrheiten haben sich sowohl stärker verbreitet als auch in das allgemeine ideologische Fundament der Gesellschaft eingebrannt. Es herrscht ein großer Bedarf an modernen Ketzern, nicht nur weil diese Wegbereiter des Fortschritts sind, sondern auch, weil wir uns selbst eingeredet haben, in weitaus kritischeren Zeiten zu leben, als es tatsächlich der Fall ist.
Ketzerische Führungskräfte
Gleichzeitig sind dies Hochzeiten für Ketzer. Im Mittelalter wurden harmlosere Formen von Ketzerei oft mit längeren Gefängnisaufenthalten oder Verbannung bestraft. Wer ein Dogma umfassend anzweifelte, hatte mit Folter und Tod zu rechnen. Heutzutage geben sich die Machthaber gerne ein wenig toleranter. Wenn ich Konzerne und Veranstaltungen besuche und dort etablierte Vorstellungen von Kreativität und Innovation infrage stelle, schlagen mir schlimmstenfalls Bestürzung und Skepsis entgegen – und selbst dann werden meine Worte noch gnädig aufgenommen. Zu den unbeabsichtigten Folgen der fast religiösen Begeisterung für Innovation, die sich in der heutigen Gesellschaft breitgemacht hat, gehört auch eine erhöhte Akzeptanz des Infragestellens, selbst wenn dies Vorstellungen von Kreativität anbelangt. Zumindest aber darf man heute ein wenig
Kreativitäts-Aikido
betreiben, also ihre eigenen Glaubensgrundsätze gegen sie verwenden.
Ich bin daher zutiefst davon überzeugt, dass die Welt noch viel mehr Ketzer benötigt – Menschen, die sich nicht mit allem abfinden; Kämpfer, die bereit sind, die Legitimität der herrschenden Spielregeln infrage zu stellen. Es gibt so viele Dinge, die uns als endgültige Tatsachen verkauft werden, dass viele Unternehmen bald CHOs oder
Chief Heretical Officers
ernennen müssen, wenn sie im Geschäft bleiben möchten. Denken Sie nur an die lange Liste von Dingen, die heute im Geschäftsleben als selbstverständliche Wahrheiten gelten:
Branding,
Globalisierung,
soziale Verantwortung des Unternehmens,
Unternehmertum und Binnenunternehmertum,
Netzwerke,
Green Management,
Wachstum,
Change-Management,
Wissensmanagement,
Nachhaltigkeit,
Supply-Chain-Management,
soziales Unternehmertum,
Managementinnovation
und so weiter …
Jede einzelne dieser »Wahrheiten« bedarf ihrer eigenen Ketzer, jener Menschen also, die bereit sind, unsere ewigen Gewissheiten anzugreifen. Es geht dabei nicht um Sabotage, sondern um die Erkenntnis, dass Fortschritt jeder Art mit der Aufgabe bestimmter Dinge, mit der Bereitschaft, zwischenzeitliche Rückschläge in Kauf zu nehmen, und mit dem Abbau einiger Elemente des alten Systems verbunden ist. Eine Wirtschaft ohne Zerstörung ist unvorstellbar, und wer glaubt, dass es in der Wirtschaftswissenschaft unveränderliche Wahrheiten geben könnte, beweist damit nur, dass er den Prozess kreativer Entwicklung nicht verstanden hat.
Wer versucht, die Ungewissheite dieser Welt zu beherrschen, begeht einen großen Fehler.
Ketzer sind nicht deshalb wichtig, weil sie der Wahrheit näher kämen als ihre konventionelleren Kritiker, sondern weil sie ein System herausfordern können, das allzu dogmatisch geworden ist. Kurz gesagt,
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