Gefaehrliche Maskerade einer Lady
allem, was er in Axebridge erfahren hatte.
Aber könnte er dieses Gelöbnis überhaupt jemals ablegen?
In Rafe war keine Liebe. In ihm war niemals Liebe gewesen.
Er war nicht wie sein Freund Gabriel, der die Liebe leicht genommen und genossen hatte, bis er Callie getroffen und sich unwiderruflich in sie verliebt hatte.
Er war auch nicht wie Harry, der seine wahre Liebe erst fand, nachdem eine Frau ihm das Herz gebrochen hatte. Harry wäre daran beinahe zugrunde gegangen. Und nun stand er vor dem Altar und sah seine Braut verklärt und selig an. Er war ein vollkommen anderer Mann.
Rafe hatte diese Gefühle früher nicht verstanden und verstand sie auch heute nicht.
Er war jetzt achtundzwanzig Jahre alt und noch keine Sekunde seines Lebens so wahnsinnig verliebt gewesen. In seinem Alter würde ihm die Liebe auch nicht mehr begegnen.
Natürlich hatte auch er Frauen gehabt, aber nur unter der Voraussetzung, dass sich ihre Bindung auf rein körperliche Bedürfnisse beschränkten. Er behandelte seine Geliebten stets gut und zeigte sich bei der Trennung großzügig. Keine seiner Bettgefährtinnen hegte einen Groll gegen ihn, aber es war auch keiner je gelungen, seine Gefühlskälte zu durchdringen.
Im Krieg gegen Napoleon war diese Kälte noch gewachsen. Auf dem Schlachtfeld war es zweckmäßig, kühl und analytisch zu bleiben und sich nicht von Leidenschaft überwältigen zu lassen. Dadurch war es ihm gelungen, das Leid von sich fernzuhalten. Menschen konnten vor Kummer und Schmerz sterben.
Er hatte geglaubt, sich vollkommen unter Kontrolle zu haben. Er dachte, dass ihm nichts und niemand etwas anhaben konnte.
Doch dann war er wieder nach Hause gekommen. Genauer gesagt, er war nach Axebridge zurückgekehrt.
Sein Vater, der Earl of Axebridge, war inzwischen verstorben und Axebridge schien nicht länger der feindselige Ort seiner Kindheit zu sein. Da der jetzige Earl, sein ältester Bruder, in zehn Jahren seiner Ehe keine Nachkommen gezeugt hatte, kamen auf Rafe neue Aufgaben zu. Er sollte heiraten und die Erbfolge sichern. Zum ersten Mal in seinem Leben wurde er von der Familie gebraucht und war bereit, seine Pflicht zu erfüllen.
Sein Bruder hatte ihm sogar eine passende Braut gesucht. Rafe war zwar nicht in sie verliebt, aber er hatte selbst keine geeignete Frau gefunden und Lady Lavinia Fettiplace entstammte einer angesehenen Familie von bestem Ruf. Sie verfügte über eine exzellente Erziehung, brachte ein Vermögen mit in die Ehe und sie war ausgesprochen hübsch.
Das Arrangement sei durchaus annehmbar, hatte er sich hundertmal versichert.
Bis ihm sein Bruder an diesem Morgen die Bedingungen der Eheschließung eröffnet hatte. Der Earl hatte sie ohne Rücksprache mit Rafe mit Lady Lavinia verhandelt.
Rafe spürte, wie der Zorn erneut in ihm aufwallte, und kämpfte ihn rasch nieder. Dies hier war nicht der richtige Ort und nicht die richtige Zeit. Er war kein kleiner Junge mehr. Seine Familie konnte ihn nur verletzen, wenn er es zuließ.
Am Morgen nach der Hochzeit brach das junge Paar unter dem lauten Jubel der Gäste zu seiner Hochzeitsreise auf. Nell strahlte vor Glück und Harrys Augen leuchteten so selig, wie Rafe es noch nie zuvor gesehen hatte.
Kurz darauf reisten auch die Gäste ab, um noch rechtzeitig zum Weihnachtsfest nach Hause zu kommen. Sie hofften darauf, dass sich das klare Wetter halten würde. Rafe und Luke, die es nicht besonders eilig hatten, zählten zu den letzten. Sie verabschiedeten sich vom Earl und begaben sich zu den Stallungen, um auf das Anspannen ihrer Karriolen zu warten.
„Ich verweigere dir jedes Wettrennen auf der Rückfahrt“, sagte Luke, während sie über den knirschenden Kiesweg gingen. Es war ein kalter klarer Morgen mit trockener Luft und leichtem Wind. Perfekte Bedingungen für ein Wettrennen.
Rafe nickte. „Wie du meinst.“
„Ich kenne dich“, hakte Luke weiter nach. „Unter dem Mantel deiner scheinbaren Gelassenheit brodelt eine unbändige Wut über etwas, was immer es auch sein mag.“
Rafe zuckte mit den Schultern. Er hätte seinem Freund alles Mögliche versprechen können, doch er schwieg. Kein Rennen der Welt würde ihn von dieser Demütigung befreien können. Und von diesem Verrat! Aber er wusste, was zu tun war.
Die Freunde sahen den Stallburschen bei der Arbeit zu, während sie auf ihre Zweispänner warteten und die aufsteigende Kälte mit den Füßen wegstampften.
„Willst du, dass ich dich nach Axebridge begleite?“, fragte Luke.
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