Gefaehrliche Versuchung
gerettet werden. Vor seinen Plänen für sie.«
»Vor ihrem Vater ? «
Er nickte. »Er schien ihr gegenüber immer ein bisschen distanziert zu sein, denn die Duchess war nach ihrer Geburt im Kindbett gestorben. Der Duke hat sich davon nie erholt. Aber ich wusste, dass er Kate niemals absichtlich wehgetan hätte. Sie beharrte darauf, dass er sie mit einem gefährlichen Mann verheiraten wolle und dass ich der Einzige wäre, der sie retten könne.«
»Und hast du es versucht?«
Harry dachte einen Moment lang an jene letzten Tage und fragte sich, ob er es versucht hatte. »Nein. Das habe ich nicht getan. Ich habe mich an ihren Vater gewandt. Ich war davon überzeugt, dass sie seine Absichten missverstanden haben musste.«
»Was hat er getan?«
Harry schüttelte den Kopf. »Er sagte, er sei dankbar, dass ich zu ihm gekommen sei. Er hat mir gesagt, dass er sowieso hätte eingreifen müssen, ehe ich seiner Tochter zum Opfer gefallen wäre. Er wirkte … todunglücklich.« Harry konnte den alten Mann noch immer vor sich sehen: die aufrechte Haltung, die Löwenmähne, die in der Nacht, als seine Frau gestorben war, schlohweiß geworden war, die traurigen Augen und das noch traurigere Lächeln. »Er hat mir gesagt, dass Kate nicht das wäre, was ich glauben würde. Dass sie keinen guten Kerl wie mich verdienen würde. Als ich widersprechen wollte, sagte er …« Harry holte Luft. Er wollte diesen Teil so schnell wie möglich hinter sich bringen. »Er sagte, dass er mir nicht alles erzählen könne. Er sagte, er habe ein Gelübde abgelegt. Und dass sie mich gebeten hätte, mit ihr wegzugehen, um nicht die Konsequenzen ihres Handelns tragen zu müssen. Er sagte, sie wäre schwanger – wahrscheinlich von einem Stallburschen namens George, mit dem sie sich heimlich getroffen hätte. Ihr Verlobter war außer sich, als er es herausfand.«
»Das war Murther? Er hat sie trotzdem geheiratet.«
Harry zuckte mit den Schultern. »Der Duke sagte, dass Murther sie geliebt hätte. Dass es, da er schon Erben hätte, keine Rolle spielen würde. Er dachte, die Hochzeit mit ihm könnte ihr … helfen.«
Harry dachte an das Brandmal und spürte, wie eiskalte Schauer über seinen Rücken rieselten.
»Und du?«, fragte Drake.
Harrys Lachen klang rau. »Der Duke sagte, es würde ihm für mich leidtun und dass ich an alldem keine Schuld trüge. Er hat mir ein Offizierspatent im 52. Regiment besorgt und mich ausgestattet.«
»Und das Kind?«
»Sie hat es verloren.«
»Und du hast Kate nie gefragt, ob das alles der Wahrheit entsprach?«
Harry drehte sich um, sah Drake an und stellte die eigentlich interessante Frage. »Warum hätte ich das tun sollen? Ich bin davon ausgegangen, dass ihr Vater die Wahrheit sagte, also hätte es nur Kate sein können, die log. Ich musste doch glauben, dass ihr Vater die Wahrheit sagte, denn sonst wäre auch alles andere, was ich gelernt habe, wertlos gewesen. Verstehst du nicht? Sie kannte ich erst seit zwei Monaten. Ihn kannte ich schon mein ganzes Leben.«
Nun war Drake an der Reihe aufzustehen. Er trat an den Bartisch und schenkte sich noch einen Whisky ein. »Ja«, sagte er und kam zu Harry, um auch sein Glas zu füllen, »ich verstehe. Warum hast du es dir jetzt anders überlegt?«
Harry nahm einen großen Schluck. »Ich weiß nicht, ob ich es mir anders überlegt habe. Ich kann mir noch immer nicht vorstellen, dass ihr Vater all das gesagt hätte, wenn es nicht stimmen würde. Er hätte sich keine Lügen überlegen müssen, um mich aus der Grafschaft zu vertreiben. Du weißt ganz genau, dass es sein Recht gewesen wäre, mich für den bloßen Blick auf seine Tochter mit der Pferdepeitsche zu schlagen und an Zwangsrekrutierer überstellen zu lassen – ganz egal, wie oft er mit mir Schach gespielt hat.«
»Kannst du Kate trauen?«
Er sah auf die Straße hinunter und bemerkte, dass es zu regnen begonnen hatte. »Das weiß ich auch nicht.«
»Du liebst sie noch immer.«
Er lächelte, als wäre sein Körper nicht mit einem Mal angespannt. »Ich wäre dumm, sie zu lieben.«
Eine ganze Weile herrschte in dem Zimmer Stille. Nur der entfernte Verkehrslärm und das Ticken der Standuhr aus Mahagoni auf dem Kaminsims waren zu vernehmen. Die Fenster knarrten, weil der Wind aufgefrischt war. Irgendwo im Haus fiel eine Tür ins Schloss. Doch in diesem Zimmer war der Punkt erreicht worden, an dem das Unvermeidliche akzeptiert werden musste.
»Ich weiß nicht, ob du ein Heiliger oder ein Narr bist, Harry«,
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