Gefaehrlicher Liebhaber - Jagd auf Jack the Ripper
rauschenden Röcken in Richtung Tür.
„Liz … Warte! Renn doch nicht weg! Es tut mir leid. Aber es geht mir noch nicht gut. Ich … diese Nacht … Der Gedanke, unter Menschen zu gehen … Wie an diesem Abend … auf einen Ball … das … das schaffe ich nicht.“
Im Handumdrehen war sie bei ihm, ging vor ihm in die Hocke und sah zu ihm auf, seine Hände fest in den ihren. „Wenn ich nur wüsste, was in dieser Nacht geschehen ist …“
St. John wich ihrem Blick aus. Schaute zur Seite. „Ich will es vergessen. Einfach nur vergessen.“ Abermals füllte er sein Glas und leerte es diesmal mit einem Zug.
„Richard … ich bin bestimmt nicht die klügste Frau auf dieser Welt, aber eines weiß ich sicher: Es hat noch niemandem genutzt, vor etwas davonzulaufen! Und Vergessen im Alkohol zu suchen schon gar nicht! Komm mit nach London! Mit Ball in Apsley House oder ohne. Aber du musst wieder unter Menschen.“ Damit erhob sie sich, zog heftig an einem Band, das einen Diener rief, und gab Anweisungen, sowohl ihre eigenen als auch seine Sachen zu packen. „Wir reisen nach London. Sofort!“
Der Ball in Apsley House interessierte sie nicht sonderlich. Über das Kleid hatte sie keine Sekunde nachgedacht. Nicht einmal, als ihre Mutter sie zur ersten Anprobe gerufen hatte. Seit sie Jeff gefunden hatte, war ihr Leben nicht mehr das Gleiche wie zuvor.
Jetzt hatte es einen Sinn.
Keine dümmlichen Cocktailpartys mehr oder Jagdgesellschaften. Sie las jetzt in einer Woche mehr, als zuvor in einem Monat. Jeff lieh ihr Bücher und sie diskutierten. Nachdem sie sich geliebt hatten. Sie arbeiteten an seinen Reden und verfassten Aufsätze zu Themen der Zeit. Die kleine, düstere Stube in der verfallenden Mietskaserne war ihr winziges Stück vom Paradies geworden.
Nur die schrecklichen Ereignisse, die ihren Bruder betrafen, hatten sie aufs Land ziehen können. Wenn sie jetzt daran dachte, nach London zurückzukommen, war allein der Gedanke an Jeff es, der sie mit einer glühenden Vorfreude erfüllte. Die einzige Bitternis, die sich in ihr Zusammensein mischte, entstammte der Sorge, öfter mit ihm zusammen sein zu wollen. Jede Trennung erschien ihnen wie eine unüberwindliche Qual.
Dazu kam, dass Jeff fast den ganzen Tag in der Fabrik zubrachte. Und war er nicht dort, sprach er vor Arbeitern, besuchte Versammlungen und traf Männer und Frauen, die seine politischen Ansichten teilten. Dass sie ihn begleitete, war für sie beide zur Notwendigkeit geworden, wollten sie beisammen sein. Es war ein vollkommen neues Leben. Aber sie liebte es, wie sie den Mann liebte, dem sie dieses Leben verdankte.
Seine sehnsüchtigen Blicke auf ihrem Körper genügten, sie zu erregen. Seine Hände wiesen ihr den Weg in die Glückseligkeit. Nein, bei allem Grauen, das Richard durchlebt hatte und das auch sie umfangen hielt, seit es geschehen war, sie wusste, dass sie eine neue Elizabeth entdeckt hatte – eine starke, erfüllte Elizabeth. Und so vermochte sie es auch, beflügelt durch die Liebe, jenes Doppelleben zu meistern, das allein das Zusammensein mit Jeff ermöglichte. Sie barg ihre Beziehung zu Jeff wie einen wertvollen Schatz in ihrem Herzen. Zu gesellschaftlichen Ereignissen zu gehen, bedeutete keine Last mehr für sie. Sie absolvierte sie im Gegenteil mit einer besonderen Leichtigkeit, wusste sie doch, dass mit jedem Moment, der verstrich, ihr Zusammentreffen mit Jeff näher rückte. Ihr gemeinsames Glück war so vollkommen, dass sie sogar die Geheimniskrämerei ertrugen. Und sollten ihre Eltern jemals versuchen, sie wegen eines anderen Mannes unter Druck zu setzen, sie zu einer Heirat zwingen wollen, würde sie stur zu Jeffrey stehen. Sie würde sich durchsetzen, dessen war sie gewiss, denn nichts fürchteten ihre Eltern so sehr wie einen öffentlichen Skandal. Und wenn alle Stricke rissen – auch dies hatte sie sich bereits zurechtgelegt – würde sie mit ihm aufs Land ziehen. Sie erinnerte sich an ein kleines Haus auf einem der Anwesen ihrer Eltern in Northumberland. Dort würden sie leben können. Mit dem Erbe ihrer Großmutter wären sie noch nicht einmal auf Unterstützung angewiesen. Jeffrey würde seiner politischen Arbeit nachgehen können und sie … ja, auch das würde sich finden!
Die Fahrt nach London hatte sich als schwieriger erwiesen, als sie erwartet hatten. Der Schnee hatte viele Straßen unpassierbar gemacht und sie verdankten es allein Elizabeths unbedingtem Willen, ihren Bruder an den Eaton Placezurückzubekommen,
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