Gefährliches Begehren
Geschichte war geradezu tragisch und sehr bedauernswert und bestätigte Stantons Einschätzung, dass Ehe und Familienleben am besten Männern
überlassen blieben, die viel mehr Zeit zur Verfügung hatten als er, aber er hatte damit noch immer keine Antwort auf seine Frage.
»Wo kann ich Lady Alicia finden?«
»Wir haben uns erst in dieser Saison wieder imstande gesehen, uns bei gesellschaftlichen Anlässen zu zeigen«, sagte Lady Sutherland, den Tränen nahe. »Fünf Jahre lang haben wir uns auf dem Land versteckt. Jetzt können unsere Töchter – gute, tugendhafte Mädchen! – vielleicht noch eine gute Partie machen, aber nur, wenn Alicia von der Bildfläche und aus der Erinnerung verschwunden bleibt.«
Sie schniefte und blinzelte Stanton schmerzerfüllt an. »Lord Wyndham, Ihr habt doch nicht vor … Ihr habt doch nicht vor, diese schmerzliche Vergangenheit wieder ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren? Warum sucht Ihr nach Alicia? Was bedeutet sie Euch?«
Stanton konnte der Frau nicht erzählen, dass er der Falke war, ein Mitglied der Royal Four, jenes ehrwürdigen Geheimbundes, der in der Lage war, Könige an die Macht zu bringen und sie zu entthronen. Diese Information war das Privileg einiger ausgewählter Personen, darunter der Premierminister und der Prinzregent. Ein solches Wissen war nichts für die schwachen, sterblichen Mitglieder der Gesellschaft.
Deshalb sagte er lediglich: »Ich habe eine unbedeutende geschäftliche Angelegenheit mit Lady Alicia zu bereden.«
Er wartete, und das Ehepaar reagierte darauf so, wie die meisten Leute es taten: Sie wurden unter seinem Blick immer unruhiger. Seine Augen schienen diese Wirkung auf die Leute zu haben.
»Barrow Street«, brach es schließlich aus Lady Sutherland
heraus. »In Cheapside.« Dann schlug sie sich die Hand vor den Mund und warf ihrem brütenden Ehemann einen erschreckten Blick zu.
Die Wahrheit. Stanton erhob sich und machte einen Diener. »Habt Dank. Guten Abend.« Er machte auf dem Absatz kehrt und ging, ohne sich groß Gedanken über die Dame zu machen. Sie waren beide Lügner, obschon sie nicht bezüglich Lady Alicias Aufenthaltsort gelogen hatten. Er machte sich im Geiste eine Notiz, dass Lady Alicias Eltern ihm noch mehr erzählen könnten, wenn er darauf bestehen würde.
Nachdem Lord Wyndham gegangen war, saßen Lord und Lady Sutherland eine Weile in gespannter Stille beieinander, bevor sie mit gedämpften Stimmen den Besuch Seiner Lordschaft diskutierten.
Sollten sie erleichtert sein, dass der Mann endlich weg war, oder besorgt, dass Alicia erneute Aufmerksamkeit auf sich und somit auch auf sie gezogen hatte?
Sie waren sich jedoch darin einig, dass sie richtig gehandelt hatten, als sie Lord Wyndham den anderen Mann verschwiegen hatten, der sich erst kürzlich bei ihnen nach Alicia erkundigt hatte.
»Daraus sollten wir uns heraushalten.«
Wenn sie doch nur einfach alles ungeschehen machen könnten.
3. Kapitel
S tunden nachdem sie Lord Wyndhams Residenz verlassen hatte, betrat Lady Alicia Lawrence ihr kleines, schäbiges Haus und warf Hut und Schleier mit solchem Schwung auf das Beistelltischchen, dass sie über die einladungsfreie Oberfläche schlitterten und auf der anderen Seite zu Boden fielen. Sie schloss für einen langen Moment die Augen und bemühte sich, die Fassung nicht zu verlieren, dann bückte sie sich, um das ausgeliehene Accessoire vom Boden aufzuheben und vorsichtig auf das Tischchen zurückzulegen.
Millie hatte nicht viele hübsche Dinge, und obschon der Hut nichts war, was Alicia einst als hübsch bezeichnet hätte, so gehörte er doch Millie. Sie liebte ihre betagte ehemalige Gouvernante, auch wenn diese bedauerlicherweise keinen guten Geschmack hatte. Alicia schaute auf den Saum ihres geliehenen Kleides hinab und seufzte. Sie würde lange wach bleiben und den Schmutz von der alten Seide schrubben müssen, so viel stand fest.
Millie kam auf ihren Stock gestützt den Flur herunter. Ihr Blick hellte sich auf, als sie Alicia sah. »Und, hat er dich reingelassen? Hat er dir geglaubt? Sieht er so gut aus, wie man sich erzählt?«
Alicia lächelte. »Ja. Ich weiß nicht. Sogar noch besser.«
Millie nickte und lächelte zurück. »Dann ist es ja gut, dass du meinen Hut aufhattest.« Sie nahm ihn liebevoll an sich.
»Es hat jede Menge junge Männer gegeben, die mir einen zweiten Blick zuwarfen, wenn ich ihn trug.«
Alicia nahm an, dass es sich bei den zweiten Blicken um ungläubige gehandelt hatte, aber
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