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Gefährliches Spiel der Versuchung

Gefährliches Spiel der Versuchung

Titel: Gefährliches Spiel der Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Pickens
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suchte verzweifelt nach der besten Stelle für einen freien Schuss. Aber das dicke Segeltuch - prall gefüllt mit ausreichend Sprengstoff, um die Highlands in der Nordsee zu versenken - diente D'Etienne als Schutzschild.
    »Das Herz ist die entscheidende Schwachstelle«, rief D'Etienne. Hämisch rammte der Franzose die nächste Kugel in den Gewehrlauf. »Nun, ich selbst kann es mir nicht leisten, mich mit moralischen Überlegungen aufzuhalten. Ein geschickter Bankier oder Künstler wird für seine Kompetenz bezahlt - und warum soll nicht auch ich von meinem gottgegebenen Talent profitieren, he? Der Kaiser belohnt verdienstvolles Handeln überaus großzügig, weit mehr als Rang oder Privilegien.« Noch eine Sekunde, und er würde den Finger am Abzugshahn krümmen.
    Obwohl ihre Hände zitterten, vergaß Shannon ihre Verzweiflung. In ihrer Ausbildung hatte man sie auf solche Situationen vorbereitet. Sun Tzu, der Meister der chinesischen Kriegskunst ...
    Chinesisch. In ihrem Kopf flammte plötzlich irgendein Funke aus dem frühen Geschichtsunterricht auf. Sie schnappte sich die brennende Harzkerze, spießte sie auf die Spitze des Bogens und schloss den Pfeil ab.
    Der kleine Pfeil machte kaum ein Geräusch, als er sich in das Segeltuch bohrte. Der Franzose musste ein Zittern gespürt haben, denn er wirbelte herum.
    Shannon ließ den Bogen sinken und trat einen Schritt zurück.
    Wieder lachte D'Etienne. »Englische Pfeile mögen die Schlacht von Agincourt gewonnen haben, aber das hier ist ein neues Zeitalter, ein Neubeginn ...« Lichtblitze tauchten an seinem Hinterkopf auf, erst weiß, dann rosa.
    Shannon stockte der Atem.
    Plötzlich registrierte D'Etienne die Gefahr, wirbelte wieder und wieder um die eigene Achse, fuchtelte wie wild mit den Armen. Er tanzte ein makabres Ballett, während er versuchte, sich den Seesack mit dem todbringenden Inhalt von den Schultern zu schälen.
    Die letzte Pirouette endete mit einem ohrenbetäubenden Knall, gefolgt von einer blendenden Explosion. Blitze schossen hoch in die Luft, rote und orangefarbene Streifen am samtschwarzen Himmel. Danach regnete es hitzige weißlich-goldene Funken, glitzernd wie tödlicher Staub aus tausenden Sternen, die einen Moment lang in stummer Pracht durch die Luft schwebten, bevor sie zu Boden sanken.
    »Bravo!« Aus den Trümmern der Treppe drang Lady Octavias Applaus zu ihr. »Bravo, Mädchen! Mit den Jahren habe ich zahllose Feuerwerke sehen dürfen, aber keins hatte solchen Beifall verdient wie dies!«
    Orlov rührte sich, setzte sich auf. »In der Tat, das ist höchstes Lob aus dem Munde der Mutter von Angus McAllister.« Wegen der Verletzung an der Stirn war sein Gesicht zwar blutüberströmt, aber trotz des Schmutzes und des Schießpulvers leistete er sich ein verschmitztes Grinsen. »Vielleicht sollte das Militär sich nicht nur auf seine Kunstfertigkeit verlassen, sondern auch auf deine, Shannon. Das war ganz sicher eine höchst ungewöhnliche Strategie. Aber auch höchst effektiv.«
    »Wellesley und seine Generäle brauchen meine Hilfe nicht - sie müssen nur die Geschichtsbücher lesen. Die Chinesen haben jahrhundertelang mit Feuerpfeilen gearbeitet.« Shannon ließ sich auf die Steinmauer sinken. Sie verspürte plötzlich eine unbändige Müdigkeit. »Es war ein Glückstreffer. Und keiner, den ich so schnell noch einmal landen möchte.«
    Das Dröhnen der Feuersbrunst wurde nach und nach schwächer, sodass das Glockengeläut aus dem Dorf unten im Tal zu ihnen drang. Die Flammen aus dem Herrenhaus mussten meilenweit zu sehen gewesen sein. Schon bald würde Hilfe eintreffen.
    Kaum zu glauben, dass es vorbei ist. Shannon schloss die Augen.
    Es hatte sich zwar nicht so entwickelt wie geplant, aber sie hatte Lord Lynsleys Anforderungen sämtlich erfüllt. Würde er ihre Mission nun als Erfolg beurteilen? Oder würde er die Entscheidungen missbilligen, die sie in der Schlacht gefällt hatte?
    Shannon war zu erschöpft, um sich über die Zukunft den Kopf zu zerbrechen. Sie streckte ihr Gesicht in die kühle Nachtluft. Zum Teufel mit den Konsequenzen! In diesem Augenblick wollte sie nichts anderes als den zarten Singsang in den Kinderstimmen genießen, das sanfte »Hmm« der Witwe, die federleichte Wärme des ...
    Als sie die flatternden Lider öffnete, stellte sie überrascht fest, dass ihr Tränen in die Augen gestiegen waren. »Krieger sollten keine Heulsusen sein«, murmelte sie dicht an Orlovs Lippen. Er schmeckte nach Salz, nach Schweiß und nach

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