Gefährliches Talent: Kriminalroman
langsam von ihr abfallen. Und der lange Schlaf und das gute Frühstück taten das Ihre. Es war, als würde ihr eine schwere Last genommen und sie würde aus einem tiefen, dunklen Loch auftauchen, das sie sich selbst gegraben hatte. Es kam alles darauf an, wie man die Dinge betrachtete. Die Welt war unendlich faszinierend. Auf Schritt und Tritt begegneten einem unerwartete Wendungen, Fehlschläge und Überraschungen. Was war denn daran so schrecklich? Und wenn plötzlich die ganze Welt verrücktspielte wie in den letzten Tagen, dann konnte man nur darüber lachen.
Sie war jung, gesund und begabt. Und sie war am Leben! Worüber beschwerte sie sich eigentlich? Nun gut, ihre Karriere lief nicht wie erhofft. Na und? Sie konnte immer zurück nach Italien, ins romantische, wonnige Italien, um an der Seite des grandiosen Fabrizio Santullo zu arbeiten und zu lernen, und wie viele Leute in ihrem Alter hatten solche Möglichkeiten schon? Er hatte sie geradezu angefleht zu bleiben und würde sie mit Kusshand wieder nehmen.
Es gab da aber noch etwas, wovon ihr ganz warm ums Herz wurde, und es wurde ihr erst jetzt klar. Sie hatte Zeit gehabt zu verarbeiten, was Ted ihr erzählt hatte, dass nämlich fast alles Gute, das ihr passiert war, von ihrem Vater eingefädelt worden war, und sie sah die Dinge jetzt mit anderen Augen. Wie konnte sie ihm das nur übelnehmen? Da war Geoff, vollkommen am Ende und von der ganzen Welt gemieden (selbst von seinem einzigen Kind), der im Knast seine verbleibenden Jahre verrinnen sah, und an wen dachte er in dieser Zeit? An sie. Er hatte die wenigen beruflichen Beziehungen, die ihm noch geblieben waren, nicht für sich genutzt, sondern um Möglichkeiten für sie aufzutun. Und zwar, ohne auf Dankbarkeit oder Anerkennung zu hoffen, sondern nur aus Liebe. Sie war den Tränen nah.
Als ihr Telefon piepte, schreckte sie aus ihren Gedanken, und ihre Heulattacke war gebannt. Sie setzte sich auf eine der blauen Holzbänke unter den Säulen und klappte das Handy auf.
Es war Ted, der sich anhörte, als wäre er auch schon so lange wach wie sie. »Hi Alix, ich habe mir gedacht, wir fangen schon mal an, den Tag zu planen. Die Konferenz fängt um …«
»Moment«, sagte sie und platzte fast vor Aufregung. »Ich muss Ihnen unbedingt was erzählen und ich glaube, das wird Ihnen gefallen. Mit ist hier ein kleines Bild aufgefallen und als ich es mir näher angeschaut habe …«
Sie brauchte fünf Minuten, um ihm alles zu berichten, und er war gebührend beeindruckt, sowohl von ihrer Entdeckung als auch von ihren Schlussfolgerungen, aber seine Reaktion auf die Riesenneuigkeit an sich fiel anders aus als erwartet. Eher lauwarm. Ja, es sei sicher schön zu wissen, wer der Fälscher war, und Ted würde sich auch schon auf eine »Unterhaltung« mit ihm freuen, aber er sei nicht hinter dem Fälscher her. Teal sei wahrscheinlich nur ein kleiner Fisch, den jemand für diesen Job angeheuert hatte. Ted wollte an die Hauptakteure herankommen.
»Aber es ist doch möglich, dass Teal etwas über diese Leute weiß«, sagte Alix.
»Möglich«, erwiderte Ted zweifelnd, »aber normalerweise arbeitet so ein Ring, falls es sich um einen Ring handelt, nach dem Need-to-know-Prinzip. Das heißt, je weniger die Randfiguren wissen, desto besser. Ich nehme an, der Typ war gar nicht eingeweiht.«
»Okay, was ist mit dem Mord an Liz? Wollen Sie dem nicht …«
»Teal hat Liz nicht umgebracht«, sagte Ted.
»Was?« Sie zuckte zusammen, stieß den fast vollen Becher von der Armlehne der Bank und ihr Kaffee ergoss sich auf das Kopfsteinpflaster. »Wie können Sie da so sicher sein? Wir haben ihn gesehen, wie er aus ihrem Büro kam …
gerannt
kam …«
»Ja, zwei Stunden nach dem Todeseintritt.«
»Zwei Stunden?«, wiederholte sie. »Ich dachte …«
»Am Tatort hat der Gerichtsmediziner gesagt, sie sei höchstens zwei Stunden tot. Mendoza hat gestern den Obduktionsbericht bekommen. Demnach waren es ziemlich genau zwei Stunden.«
»Nun gut, aber das beweist nicht, dass er sie nicht umgebracht hat.«
»Nein, Alix, aber Mörder bleiben nicht am Tatort. Die machen sich für gewöhnlich so schnell wie möglich aus dem Staub. Überlegen Sie doch mal: Wieso sollte er denn so lange dortbleiben? Das ergibt doch keinen Sinn. Nein, jemand anders hat sie umgebracht. Teal ist später gekommen, hat die Situation ausgenutzt und sich das Bild geschnappt.«
Alix seufzte. Ted hatte recht, der Fall war noch lange nicht gelöst. »Das wirft
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