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Gefaehrten der Finsternis

Titel: Gefaehrten der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chiara Strazzulla
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hüte ihn, als wäre er dein kostbarstes Gut, ein Schatz für uns alle. Er könnte unser aller Rettung sein.«
    Irmya nickte. Zum ersten Mal, seit sie aus der Letzten Stadt geflohen waren, hielt sie ihr Pferd an und wandte sich zurück. Sie sah den Rauch, der in der Ferne den trüben Himmel bewölkte und sich hoch über der ausgetrockneten Ebene der Ödnis erhob. Sie sah die Flüchtlinge aus der Letzten Stadt, wie sie sich mit all ihrer Kraft durch die kahle Wüste schleppten: Frauen, die ihre Kinder an sich gedrückt hielten, die Überlebenden der Freien Garde, die noch immer voller Stolz ihre verschmutzten Uniformen trugen, die Verletzten, denen man aufs Pferd geholfen hatte und die sich bemühten, aufrecht im Sattel zu bleiben und ihren Frauen, Kindern und Gefährten neben sich tapfer zuzulächeln. Ein wenig hinter ihr entdeckte sie Tyke von Mirnar. Er ritt mitten im Trupp der verletzten Ewigen und zu Recht trug er den
blauen Umhang der Freien Garde um seine Schultern. Da verstand Irmya, dass keiner der Blicke, die sich auf die endlose Weite hinter der Ödnis richteten, schicksalsergeben war, sondern dass all diese Augen versuchten, die Vision der Hoffnung zu erblicken, die sie vorwärtstrieb, den höchsten Turm der Feste Syrkun, ihr Versprechen, dass sie leben würden. Sie begriff, dass die Augen der Flüchtlinge nicht leer und verloren blickten, sondern in die Ferne gerichtet waren. Da wandte auch sie sich wieder dem Horizont zu, trieb ihr Pferd an und trabte zu ihrem Vater an die Spitze des Zuges. Seite an Seite ritten sie auf ihren Zufluchtsort zu.Vielleicht, so dachte Irmya, wartete dort schon Ventel auf sie, und sie hätte einen Grund weiterzuleben.

ZWEIUNDZWANZIG
    I CH HABE EINE Entscheidung getroffen, meine Herren«, erklärte Sire Myrachon. »Und ich fürchte, dass sie unwiderruflich ist.« »Aber Sire …« Aldrivin wagte vorsichtig einen Einwand, sah aber so aus, als wollte er am liebsten in den Falten seines senfgelben Umhangs verschwinden. »Überlegt Euch, was Ihr da sagt. Ihr seid der Führer des Ewigen Königreiches. Denkt daran, was geschähe, wenn wir Euch verlören! Nein, Euer Vorhaben ist viel zu gefährlich. Überlasst das den Feldherren. Niemand im Königreich versteht sich besser auf Strategie als sie. Überlasst es also ihnen, und ich bin sicher, dass sie das Richtige tun werden.«
    »Das bezweifele ich nicht«, sagte Sire Myrachon. Seine Stimme klang ruhig, doch ihr Tonfall ließ vermuten, dass dies nur die Ruhe vor dem Sturm war. »Sie tun, was richtig ist und was sie können, innerhalb ihrer Möglichkeiten, so wie sie es immer getan haben. Ich mache nicht die Feldherren für die Niederlagen verantwortlich, die wir hinnehmen mussten. Ich habe es bereits gesagt und wiederhole noch einmal, dass ich mit ihrer Führung höchst zufrieden bin.«
    »Niemand hat jemals am Sachverstand und am Mut der Feldherren gezweifelt, Sire«, stimmte ihm Aldrivin hastig zu, »und gerade deshalb solltet Ihr von Eurer Entscheidung abrücken, die zweifellos Ausdruck Eures Mutes ist, jedoch trotzdem recht unbesonnen
erscheinen könnte. Wenn Ihr also meint, und das mit Recht, dass die Feldherren Euer Vertrauen verdienen, warum überlasst Ihr es dann nicht ihnen, die Dinge nach ihrem Gutdünken zu steuern?«
    »Euch, Ihr ehrenwerten Feldherren, mache ich nicht für die Niederlagen verantwortlich«, fuhr der Sire etwas lauter fort, während er tat, als habe er die Worte seines Hohen Ratgebers nicht gehört. Er ließ die Augen durch den Raum schweifen, sah in die besorgten Gesichter seiner Feldherren und eine feine Falte durchteilte seine Stirn. Die Feldherren standen schweigend und wie gelähmt da. Offensichtlich warteten sie auf das Ende der Rede. »Und ich mache nicht einmal jene dafür verantwortlich - Verbündete oder Ewige aus unserem eigenen Königreich -, die sich auf unser Hilfeersuchen und den Ruf zu den Waffen nicht gemeldet haben.« Erstauntes Raunen ging durch den Raum. Wenn überhaupt jemand für den katastrophalen Verlauf der Militäroperationen verantwortlich war, dann hätten die Feldherren die Schuld zweifellos bei denen gesucht, die ihnen nicht zu Hilfe geeilt waren, obwohl sie eigentlich dazu verpflichtet waren.
    Aldrivin schien es aufgegeben zu haben, etwas zu sagen, da der König ganz offensichtlich nicht auf ihn hören wollte. Bei anderer Gelegenheit hätte der Sire über das Erstaunen des Hohen Rates gelacht, doch diesmal blieb er ernst. Er räusperte sich laut, woraufhin das Gemurmel

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