Gefaehrten der Finsternis
kommen!«
»Mit uns?« Lyannen verstand jetzt überhaupt nichts mehr. »Und warum?«
»Also warum wohl? Das habe ich dir doch schon gesagt!«, rief das Mädchen mit gespielter Empörung aus. »Ich bin ein Freigeist, ich will Abenteuer erleben. Ganz egal welche, Hauptsache aufregend und gefährlich.Wenn ich hierbleibe, wird mein Leben so spannend verlaufen wie das eines Regenwurms. Es läuft mir schon eiskalt den Rücken herunter, wenn ich bloß daran denke!
Ich könnte sterben vor Langeweile. Da gehe ich doch lieber mit euch, schlage mich mit einer gefährlichen Reise rum und stoße dann schließlich auf den Krieg mit all dem Schlachtengetümmel. Das wird großartig!«
»Du weißt also, wohin wir gehen?« fragte Lyannen und riss verblüfft die Augen auf. »Du kennst unsere Mission?«
»Na klar weiß ich das.« Ein maliziöses Lächeln kräuselte ihre Lippen. »Vor nicht ganz sechs Tagen sind Abgesandte eures Feindes zu uns gekommen, haben uns die Lage erklärt und ein hübsches Sümmchen geboten, wenn wir euch an sie ausliefern würden.«
»Und ihr?«, fragte Lyannen hastig nach. »Ihr habt dieses Angebot doch nicht etwa angenommen?«
»Wir? Ganz bestimmt nicht. Sie haben wohl auch selbst nicht daran geglaubt. Wir sind zwar nicht eure Verbündeten, aber das heißt noch lange nicht, dass wir mit denen gemeinsame Sache machen. Außerdem können wir uns schon denken, was das für eine großartige Belohnung ist: nichts als Schall und Rauch, nur leere Versprechungen! Sie sind nicht die ersten, die versuchen, uns hereinzulegen, und sie werden auch nicht die letzten bleiben, aber da muss noch viel Wasser unter unseren Brücken hindurchfließen, ehe das einem Schlaufuchs gelingt.«
Lyannen stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Jetzt war er endgültig überzeugt, dass sie Irdris trauen konnten. Wenn er doch nur mit Ventel hätte sprechen und seinen Rat hätte einholen können … Aber dann überlegte er, dass er auch nicht immer am Rockzipfel seines Bruders hängen konnte. Dieses Mal war er derjenige, der handeln musste, und das musste er ganz alleine durchstehen. Irdris bat ihn, ihr zu vertrauen und das Risiko einzugehen. Die relative Sicherheit der Gefangenschaft gegen einen gewagten Fluchtversuch einzutauschen. So dumm war er auch wieder nicht, dass er nicht gewusst hätte, wofür er sich entscheiden sollte.
»In Ordnung«, sagte er und fühlte, wie sich eine schwere Last auf seine Schultern legte. »In Ordnung. Ich bin dabei!«
In Irdris Augen lag wieder ein unbändiges Funkeln, während sie wortlos nickte.
Sie marschierten schweigend mit schleppenden Schritten durch die Leere der Wüste, ihre Augen waren starr auf einen weit entfernten Horizont gerichtet. Hinter ihnen erhob sich träge eine riesige graue Rauchwolke über der kahlen Landschaft der Ödnis. Keiner der Flüchtlinge der Letzten Stadt hatte den Mut, sich umzudrehen und sie anzusehen, denn sie wussten, dass dieser Rauch von den Ruinen ihrer Häuser aufstieg, über ihren unbegrabenen Toten. Hinter ihnen, fernab von ihrem Bestimmungsort, verschlang das Feuer, das die Schwarzen Truppen gelegt hatten, unerbittlich all das, was bislang ihr Leben ausgemacht hatte. Alle wussten es, alle dachten daran, aber keiner sprach es aus. Ihre Blicke waren kalt und leer, ihre Gesichter wirkten verhärtet. Die vollkommene Stille der Ödnis füllte ihre Ohren mit einem merkwürdigen Sirren, und in diesem Schweigen schien man noch das Echo der klirrenden Waffen und des Kampflärms wahrzunehmen, all die Schreie, das Weinen, die zischenden Pfeile und Aturs letzte Worte im Angesicht des Todes. Ab und an wurde die Stille von dem Jammern eines Kindes unterbrochen, gefolgt von flüsternden, freundlichen Worten des Trostes. Dabei gab es keinen Trost. Fortwährend mussten sie beklagen, dass einer ihrer Verletzten für immer von ihnen ging. Sie mussten die Leichen am Wegesrand zurücklassen, hatten nicht einmal die Zeit, sie zu begraben.
Irmya ritt mit zusammengepressten Lippen an der Seite ihres Vaters, und seit sie die Stadt verlassen hatten, hatte sie noch kein Wort gesagt.Von der Stadtmauer aus hatte sie den Tod ihres Bruders mit ansehen müssen. Er hatte die Uniform der Freien Garde getragen, genau wie Ventel es getan hätte, wenn er mit ihnen gekämpft
hätte.Ventel und Atur waren einander so ähnlich. Sie hatten beide einen unbeugsamen Charakter, und wenn Irmya sich an ihren Verlobten erinnerte, erschien selbst in den trostlosesten Momenten der Hauch eines
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