Gefällt dir, was du siehst?
… Ihre neue Kollegin?“, sage ich verwirrt.
„Ich bekomme eine neue Kollegin? Wer … hat Frau Dr. Rothloff das zu Ihnen gesagt?“, stößt sie hervor.
Irgendetwas stimmt hier nicht. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht.
„Ich spreche von Saskia Groß“, erkläre ich langsam und betont. „Die neue zweite Sekretärin. Das dort ist doch vermutlich ihr Schreibtisch. Sie muss irgendwann letzte Woche angefangen haben. Sie haben sie doch selbst zu mir geschickt, um die Nummer der Firma Hönsberg zu erfragen.“
Frau Zeiger sieht mich mit großen Augen an. „Der Schreibtisch da steht seit einem Jahr leer, seit Frau Miller in den Mutterschutz gegangen ist“, sagt sie genau so langsam und betont wie ich. „Von einer Frau Groß habe ich noch nie gehört. Und wieso sollte ich eine Kollegin zu Ihnen schicken, um eine Nummer zu erfragen, die wir hier“, sie deutet auf ihren Computer und das altmodische Rolodex auf ihrem Schreibtisch, „in jeder möglichen Form haben?“
„Aber … Sie haben uns doch am Dienstag im Technikraum erwischt!“
„Im Technikraum?“ Sie runzelt die Stirn. „Sie meinen am Dienstagabend, als wir uns am Kopierer getroffen haben? Nun, Herr Strecker, was soll ich sagen – Sie haben mir da wirklich einen etwas komischen Eindruck gemacht, wie sie von dem Tisch aufsprangen und rausgerannt sind. Gut, Sie haben im Servicecenter der Geschäftsführung ja auch nicht zu suchen, aber …“
„Sie sind verrückt“, stoße ich hervor und merke im selben Moment, dass weder die Aussage, noch die Lautstärke angemessen ist. Dies scheint auch meine Chefin zu denken, die soeben in der Tür zu ihrem Büro auftaucht und mich ebenso erstaunt ansieht wie Frau Zeiger.
„Ist bei Ihnen alles in Ordnug, Herr Strecker?“
„Nein, es ist …“, beginne ich, spreche dann aber nicht weiter. Von einer Frau Groß habe ich noch nie gehört. Auf einmal weiß ich, dass sie die Wahrheit sagt. Und ich ahne, dass ich auch die Bar nicht wiederfinden werde, in der ich gestern Abend saß, bevor ich den Fick meines Lebens hatte.
„Herr Strecker?“ Frau Dr. Rothloff sieht mich durchdringend an. „Geht es Ihnen nicht gut? Wenn Sie sich nicht wohl fühlen, gehen Sie heute ruhig etwas früher nach Hause, es ist ja Freitag. Und Sie haben doch sicher die ein oder andere Überstunde, die Sie abbummeln können.“
„Vierhundertsechsundzwanzig“, murmele ich tonlos.
„Wie meinen Sie?“
„Ich habe vierhundertsechsundzwanzig Überstunden, die ich abbummeln könnte.“
„Na na, Herr Strecker, nun wollen wir das aber mal nicht zu genau nehmen“, sagt meine Chefin in einer Tonlage, die klar macht, dass sie es sehr wohl tut. „Ein halber Tag heute wird Ihnen gut tun, dann genießen Sie das Wochenende und sind am Montag wieder ganz der Alte.“
„Nein!“ Das kommt heftiger heraus, als ich beabsichtigt habe.
„Nein?“ Ein unsicheres Lächeln spielt um Frau Dr. Rothloffs Lippen. „Aber Sie wissen doch, Herr Strecker, dass ich das Wort Nein selbst von meinen geschätztesten Mitarbeitern gar nicht gerne höre.“
Ich sehe sie an. „Nun, Frau Dr. Rothloff, dann habe ich jetzt ein Wort für Sie, das Sie sicher noch weniger hören wollen.“
„Schatz, was machst du denn schon wieder hier?“, fragt Karen erstaunt, als ich am frühen Nachmittag in unsere Wohnung zurückkomme. Sie liegt auf dem Sofa und schaut – wie kann es anders sein – eine Episode ihrer Lieblingsserie.
Ich setze mich neben sie. „Wir müssen mal reden.“
„Wir … Michi, was ist los mit dir? Hat das etwas mit gestern zu tun?“
Ich nicke langsam. „Ja, hat es. Machst du das da bitte aus?“
Karen drückt auf die Pause-Taste.
„Ich habe gesagt, dass ich möchte, dass du das ausmachst.“ Ich klinge nicht unfreundlich oder wütend, aber bestimmt. Und es klingt gut in meinen Ohren.
Der Bildschirm erlischt.
„Karen, ich … ich habe dich betrogen.“
Alle Farbe weicht aus ihrem Gesicht. „Du hast …“
Ich nicke. „Ich habe dich betrogen … mit mir selbst. Ich glaube, ich habe dir in den letzten Jahren nicht mehr gezeigt, wer ich wirklich bin. Was vermutlich daran liegt, dass ich es selbst nicht mehr wusste.“
Karen sieht mir direkt in die Augen. „Ja, das stimmt. Also, ich meine … ja, das kann ich mir vorstellen. Du … du bist nicht mehr so wie früher. Ich mache dir keinen Vorwurf, wirklich nicht, ich weiß ja, dass du im Büro viel um die Ohren hast und …“
„Das ist vorbei.“ Es hört sich gut an, das
Weitere Kostenlose Bücher