Gefangen (German Edition)
nicht, dass sie ihm auf Händen und Füßen nach unten gefolgt war? Aber eine innere Stimme riet ihr, klein beizugeben und zu gehorchen. Sie kroch unter den Tisch. Die Leine war kurz und gab den Abstand zum Tischbein vor. Sie rollte sich auf der Seite liegend zusammen, zog die Beine fast wie ein Embryo an den Körper.
Er überlegte kurz, ob er ihr noch den Befehl zum Liegenbleiben geben müsste, beschloss aber, ihren Gehorsam auf die Probe zu stellen, und verließ das Zimmer Richtung Küche.
Delia hörte ihn mit Töpfen und Schüsseln klappern. Erst jetzt merkte sie, dass sie vollkommen verspannt war. Der Disput mit Lennart und die demütigende Situation hatten an ihren Nerven gezerrt. Tränen drängten sich in ihre Augen, aber sie schluckte mehrmals und unterdrückte den Reiz zu weinen. Sie streckte sich langsam aus, dehnte und reckte ihre Glieder und allmählich fühlte sie sich wohler. Vorsichtig schaute sie sich aus ihrer Position heraus um. Sofa und Sessel versperrten ihr den Blick. Aber immerhin sah sie, dass die Einrichtung geschmackvoll war. Die Sitzgarnitur aus dunkelgrünem, teurem Leder harmonierte mit den dunkelbraunen halbhohen Schränken. Darüber hingen kleine, farbig kolorierte Stiche im Querformat, die Pferde- und Jagdszenen darstellten.
Sie schloss die Augen. Nichts tun, nichts denken. Doch, schon etwas denken, aber immer nur dasselbe: Ich werde gehorchen, ich werde gehorchen …
Um ein Haar hätte Delia diesen Vorsatz wieder über Bord geworfen. Lennart kehrte mit einem Tablett zurück. Er setzte sich in seinen Sessel, stellte ihr einen der Teller und ein Schüsselchen auf den Boden, balancierte das Tablett mit dem zweiten Teller und einem gefüllten Weinglas auf den Beinen und begann zu essen.
Delia kniete sich hin. Der Couchtisch war niedrig und sie passte nur in geduckter Stellung darunter, um nicht ständig an der Platte anzustoßen. Das Essen duftete herrlich. Klein geschnittenes Gemüse, Kartoffeln, ein angebratenes Hühnerbein. Ihr Magen knurrte augenblicklich voller Verlangen und in ihrem Mund sammelte sich der Speichel. Aber Lennart hatte ihr kein Besteck hingelegt. War das Absicht? Sollte sie etwa wie ein Hund …? Der Gedanke daran stellte ihr die Nackenhaare auf. Trotzig entschied sie, nicht um Besteck zu bitten, sondern mit den Fingern zu essen, doch kaum hatte sie ihre Hand ausgestreckt, als Lennart ein drohendes Brummen von sich gab, sein Besteck weglegte und nach der Fliegenklatsche fasste, die griffbereit auf dem Couchtisch lag. Delia hielt in der Bewegung inne und schaute fragend zu ihm auf.
«Wenn du hungrig bist und essen willst, dann mach es wie ein Hund!»
Für einen Augenblick spielte Delia mit der Idee, ihm die Speisen an den Kopf zu werfen oder das Essen zu verweigern. Aber es duftete köstlich und sie hatte seit langem nichts Leckeres zu essen bekommen. Ihr war zum Heulen zumute. Seine Demütigungen kannten wohl keine Grenzen. Aber sie riss sich zusammen. Sie würde nicht schon wieder ungehorsam sein und sie würde auch nicht vor Wut heulen. Sie musste ihr Ziel konsequent verfolgen: Wenn sie flüchten wollte, durfte sie nicht in der Dachkammer eingesperrt sein! Um mehr Freiheiten zu erlangen, musste sie ihm glaubhaft Demut und Gehorsam vorspielen.
Sie beugte sich über den Teller, fasste vorsichtig mit den Zähnen nach einem Stück Kartoffel, kaute und schluckte, dann ein Stück Karotte, biss ein Stück Hühnerfleisch ab. Verdammt, schmeckte das gut! Sie kaute langsam und vorsichtig. Ihre Kiefer quittierten jedes zu feste Kauen immer noch mit starken Schmerzen, daher dauerte es lange, bis sie aufgegessen hatte. Zwischendurch schnupperte sie an der Schüssel, in der sich etwas Flüssiges befand. Wasser? Nein, Weißwein. Aus der Schüssel zu trinken war allerdings eine besondere Herausforderung. Es gelang ihr nicht, zu trinken oder ihre Zunge einzutauchen, ohne ihre Nase ebenfalls im Wein zu versenken. Lennart grinste von einem Ohr zum anderen. Schließlich packte sie die Schüssel vorsichtig mit den Zähnen am Rand, kippte sie ein wenig und begann ungeniert zu schlürfen.
Lennart grinste noch breiter. Er sah ihr gelassen zu, nachdem er selbst fertig war. Als er sich ohne besondere Absicht vorbeugte, glaubte Delia, er würde ihr den Teller wegnehmen, und instinktiv duckte sie sich über das Essen, nahm allen Mut zusammen und bleckte leise knurrend die Zähne. Lennart schaute sie verblüfft an, dann begann er schallend zu lachen, klatschte sich vor Vergnügen sogar
Weitere Kostenlose Bücher