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Gefangen im Zwielicht

Gefangen im Zwielicht

Titel: Gefangen im Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Rank
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Manche Vorhänge waren zugezogen, teilweise die Fensterläden geschlossen. Ich blickte auf meine Uhr und stutzte. Vielleicht war überhaupt niemand zuhause. Ich drückte die Klinke des schweren Tores, das sich quietschend in Bewegung setzte. Einen Moment bildete ich mir ein, einer der Löwen hätte sich bewegt. Das Biest aus Stein starrte jedoch noch immer auf die Straße hinunter.
    An der Haustür suchte ich nach der Türglocke, aber Fehlanzeige. Da war lediglich ein Türklopfer aus Messing. Wieder zwei Löwen, die jeweils ein Ende eines schweren Halbringes in ihren Mäulern trugen.
    So was Spießiges. Ich klopfte dreimal gegen das Holz. Schon bald öffnete ein älterer, untersetzter Mann die Tür. Er trug eine schwarze Hose und ein weißes Hemd mit einer Weste darüber, deren Knöpfe sich über seinem Bauch spannten. Ein ergrauter, lichter Haarkranz zierte seinen Hinterkopf und eine kleine, runde Brille saß auf der knolligen Nase. Er deutete eine Verbeugung an und bedachte mich mit einem unergründlichen Blick aus seltsam abwesenden Augen. Ein Diener. Noch spießiger.
    „Sie wünschen?“ Seine Stimme klang hohl, während er eine Augenbraue hochzog und den Kopf schräg neigte. Ich trat einen Schritt vor.
    „Guten Abend, mein Name ist Leon Bergmann, ich werde von Herrn Grigorescu Senior bereits erwartet.“
    Der Kerl hatte so etwas Eigenartiges an sich, dass ich nicht umhin kam, in seine Gedanken einzudringen. Ich erschrak über die Leere, die in seinem Geist lag. Als wäre sein Gehirn mit Watte gefüllt. Ich war versucht, nach seinem Namen zu fragen und hätte schwören können, dass er ihn nicht wusste. Meine Überlegungen wurden unterbrochen, als der alte Mann eine einladende Geste machte, die Tür weiter öffnete und mich eintreten ließ. Die Eingangshalle war ungewöhnlich hoch. Es war kühl und roch nach altem Gemäuer. Zu beiden Seiten erhoben sich mehrere Steinsäulen, die sich an der Decke zu einem imposanten Gewölbe zusammenschlossen. Der Fußboden war mit schwarzen und weißen Mosaiksteinchen in kunstvollen Mustern gefliest. Eine Marmortreppe führte in der Mitte zu den oberen Räumen, ein roter Läufer erstreckte sich auf ihrer gesamten Länge. Beeindruckt blickte ich nach oben, wo ein prunkvoller Kronleuchter aus hunderten von Kristallen hing. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich wie angewurzelt stehen geblieben war, ein Räuspern holte mich zurück in die Gegenwart. Ich wandte mich um, der Diener nickte und deutete auf die Treppe.
    „Wenn Sie mir bitte nach oben in den Salon folgen würden, ich werde Herrn Grigorescu unverzüglich davon unterrichten, dass Sie hier sind, Herr Bergmann.“ Er schritt die Stufen hinauf, ohne sich umzusehen. Ich folgte ihm, beeindruckt vom Luxus und der Größe des Hauses. Und doch fühlte ich mich unwohl. Generell war ich in der Lage, positive oder negative Schwingungen zu empfangen, doch hier schien es mir, als ob alles tot wäre. Nicht nur Menschen besaßen eine Seele, sondern auch Gebäude. Ich spürte, ob Schlechtes oder Gutes in einem Haus passiert war und ob die Menschen glücklich oder unglücklich gewesen waren. So alt diese Villa auch sein mochte, es schien, als wäre sie erst vor Kurzem erbaut worden. Als hätte hier nie jemand gelebt. Kalt, leer und ohne jegliche Geschichte.
    Ich fröstelte. Der lange Flur war lediglich durch goldene Kerzenleuchter an den Wänden erhellt. Wer benutzte heute noch Kerzen, um ein Haus zu beleuchten? Hier oben erschien es ziemlich düster, der Geruch von Wachs und alten Möbeln hing in der Luft. Am Ende des Flures führte mich der Mann in eine Bibliothek. Die geschlossenen Fensterläden versperrten mir den Blick nach draußen. In der Mitte standen ein altmodisches Sofa aus dunkelgrünem Samt und ein dazu passender Ohrensessel. Auf einem Tischchen aus dunklem Eichenholz stand ein gläserner Aschenbecher, daneben lag eine Zeitung. Eine Standleuchte in der Ecke beleuchtete den Raum dürftig.
    „Sie entschuldigen, aber ich habe Feierabend. Herr Grigorescu ist sofort bei Ihnen.“ Der Mann senkte den trüben Blick und deutete eine Verbeugung an.
    „Ist schon in Ordnung, danke.“ Ich stellte meine Aktentasche auf dem Sofa ab und setzte mich vorsichtig. Hoffentlich brach das alte Ding nicht zusammen. Das Zimmer schien aus einer anderen Zeit in diese Villa hineinprojiziert worden zu sein. Die dunkelroten, schweren Brokatvorhänge wiesen auf Verschleiß hin, auch die Tapeten hatten den Anschein, als stammten sie noch aus dem vorletzten

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