Gefangen im Zwielicht
einen imaginären Fussel von meiner Krawatte. Heilige Scheiße, was war denn das jetzt? Ich war nicht sicher, wie er das gemeint hatte, aber dieser Typ war ja noch schräger als sein Sohn. Schon allein dieser irre Blick. Seine Augen waren schwarze Löcher, die einen zu verschlingen drohten, wenn man länger hineinsah. Waren sie vorhin nicht grau gewesen? Alles, was ich antworten konnte, war ein peinlich berührtes „Ähm, ja.“
„Wo hab ich sie denn nur? Irgendwo hier müssen sie sein“, murmelte er, während er unzählige Stapel von Papieren auseinander nahm und durchblätterte. Sein schmales Gesicht wirkte im Schein der Fünfundzwanzig-Watt-Schreibtischlampe noch blasser, seine Haut war faltig und dünn wie Pergament und ließ feine Äderchen bläulich hindurchschimmern. Bei einem Blick auf seine Hände fielen mir die für einen Mann ungewöhnlich langen Fingernägel auf. Plötzlich musste ich an die alten Dracula Filme mit Christopher Lee denken, die ich als Zwölfjähriger oft mit Vater gesehen hatte. Paps liebte diese alten Schinken immer noch, ich bevorzugte mittlerweile aktuellere Filme, wie „Van Hellsing“, oder John Carpenters „Vampire“.
Ich verspürte das dringende Bedürfnis, diesem Christopher Lee-Verschnitt die Nutzung eines Computers vorzuschlagen und vor allem, sich eine Sekretärin zuzulegen. Hatte er eine gehabt, sie aber dann aufgefressen? Das bizarre Bild einer schreienden Frau in der Mitte eines riesigen Spinnennetzes und einem Grigorescu mit sechs schwarzen, haarigen Beinen, der sabbernd auf sie zu kroch, tauchte vor meinem inneren Auge auf.
Endlich fand er die Papiere und legte sie vor. Ich warf einen Blick hinein, als er sich plötzlich erhob. Ich nahm nur eine fließende Bewegung wahr. Im nächsten Moment saß er so jäh und unerwartet vor mir auf der Platte seines Schreibtisches, dass ich im Stuhl zurückwich und ihn mit großen Augen anstarrte. Wie hatte er sich so schnell und unbemerkt bewegen können? Ich blickte rasch auf meine Armbanduhr und fuhr aus meinem Stuhl hoch.
„Entschuldigen Sie, ich habe die Zeit völlig übersehen, ich habe noch einen Termin. Ich werde mir die Dokumente zuhause mit meinem Vater durchsehen.“
„Schade … ich hatte gehofft, Sie würden noch zum Essen bleiben.“ Grigorescu erhob sich ebenfalls.
„Z …zum … Essen?“, wiederholte ich überrascht. „Das ist sehr freundlich, aber ich bin bereits verabredet.“ Ich nahm die Papiere und wollte sie in meiner Tasche verstauen, da griff eine eiskalte Klaue nach meinem Handgelenk.
Kapitel 3
„Meine Familie wäre sicherlich ebenfalls erfreut, wenn Sie blieben“, bemerkte Grigorescu halblaut, es war fast ein Flüstern. Seine Augen durchbohrten mich förmlich. Okay, das reichte jetzt. Der Typ hatte einen gewaltigen Schatten, und ich war nicht scharf darauf, auch noch den Rest seiner Familie kennen zu lernen. Ich wollte mich seinem Griff entziehen, doch seine Finger lagen wie Eisenfesseln um mein Handgelenk. Spätestens jetzt glaubte ich mich im falschen Film.
„Ja, das freut mich, aber ich sagte Ihnen bereits, ich bin schon verabredet“, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während ich an meiner Hand zerrte. „Wenn Sie nun die Freundlichkeit besitzen würden, mich loszulassen?“
Grigorescu starrte mich weiter an, er machte keinerlei Anstalten, meiner Aufforderung nachzukommen.
Langsam wurde mir das zu dumm. „Herr Grigorescu, zwingen sie mich nicht dazu, Ihnen …“
In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen. Der Griff um mein Handgelenk wurde so plötzlich gelöst, dass ich fast rückwärts gestolpert wäre.
Alexei sah ganz anders aus, als beim letzten Mal. Sein Haar trug er offen, dunkelblonde Strähnen fielen ihm ins Gesicht und auf die Schultern. Gekleidet war er in eine ausgewaschene Jeans und ein weißes T-Shirt. Seine grünen Augen blitzten auf, während er zwischen mir und seinem Vater hin und her blickte. Einen Augenblick meinte ich Wut darin aufflackern zu sehen, empfing negative Schwingungen. Doch dann brach die Verbindung ab.
„Gibt es ein Problem, Vater?“
Serban Grigorescu zuckte mit den Schultern und setzte eine Unschuldsmiene auf.
„Ich wollte den jungen Mann lediglich dazu bewegen, zum Essen zu bleiben.“
„Und ich sagte bereits zwei Mal, dass ich Ihr Angebot nicht annehmen kann“, setzte ich harsch hinzu und schüttelte den Kopf.
Alexei warf seinem Vater einen missbilligenden Blick zu und wandte sich dann an mich: „Entschuldigen
Weitere Kostenlose Bücher