Gefangen in Deutschland
Lebensweise der Deutschen macht vielen muslimischen Eltern Angst; sie fürchten, dass auch ihre Töchter lockeren Umgang mit Jungen und Männern pflegen wollen, bereits mit dreizehn, vierzehn Jahren einen Freund haben, den sie auf offener Straße küssen, Miniröcke tragen und sich schminken. Mit aller Macht versuchen diese Eltern die heranwachsenden Mädchen vor dem vermeintlichen »Lotterleben« zu schützen und wachen noch strenger über die Einhaltung der Familienregeln und Traditionen. Um sich so wenig wie möglich mit dem unvermeidlichen Fremden abgeben zu müssen, wurden seit der ersten Einwanderungswelle Anfang der Sechzigerjahre zunehmend eigene Lebensmittelgeschäfte, Friseursalons, Arztpraxen, Teestuben und Restaurants eröffnet und der Kontakt auf die eigenen Landsleute beschränkt. Ganze Stadtteile entstanden auf diese Weise in Deutschland, in denen ausschließlich Muslime leben, die ihr Viertel kaum verlassen. Kein Wunder also, dass manche Frauen, die seit zehn oder mehr Jahren hier leben, außer »Guten Tag« und »Auf Wiedersehen« kein Wort Deutsch beherrschen – im Gegensatz zu ihren Männern, die durch ihre Berufstätigkeit zwangsläufig mit Deutschen in Berührung kamen und somit die Sprache zumindest ansatzweise lernten.
Warum bleiben diese Menschen dann nicht in ihrem Ursprungsland wohnen, wenn in Deutschland alles so furchtbar verkommen und ehrlos ist?, wird sich manch einer fragen. Dies hat in der Regel schlicht wirtschaftliche Gründe. Gehalt und soziale Absicherung sind bei uns nun einmal deutlich besser als in der Türkei oder in den arabischen Ländern. Viele Migranten kommen mit der Absicht hierher, bis zur Rente in Deutschland zu arbeiten und in dieser Zeit monatlich einen festen Betrag zu sparen. Von dem Geld wird dann in der Heimat ein Haus gekauft oder gebaut und somit die Grundlage für eine spätere Rückkehr geschaffen. Der Wunsch nach einem Alterssitz im eigenen Land ist verständlich, tut aber sein Übriges dazu, eine erfolgreiche Integration im Gastland zu verhindern.
Wenn in den Medien von Gewaltopfern innerhalb muslimischer Familien die Rede ist, handelt es sich fast immer um Frauen aus demselben Kulturkreis. Doch proportional zur steigenden Anzahl muslimischer Migranten in Deutschland – Thilo Sarrazin hat in seinem Buch hochgerechnet, dass es sich 2010 bereits um sechs bis sieben Millionen Menschen gehandelt haben könnte 3
› Hinweis
–, wächst auch die Anzahl der bikulturellen Partnerschaften zwischen Muslimen und Christen, die hier geschlossen werden.
Thilo Sarrazin, Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen , München 2010, S. 262
Meist sind es junge deutsche Frauen, die sich in türkisch- oder arabischstämmige Männer verlieben und mit diesen eine feste Partnerschaft bzw. Ehe eingehen. (Natürlich gibt es auch den umgekehrten Fall – deutscher Mann heiratet muslimische Frau –, aber diese Kombination kommt deutlich seltener vor, nicht zuletzt weil Muslimas nur wenig Möglichkeiten haben, deutsche Männer kennenzulernen.) Von den deutschen Frauen, die über ihre Partnerschaft Teil einer traditionellen orientalischen Familie werden, weiß die breite Öffentlichkeit relativ wenig. Manchmal begegnen wir einer Kopftuchträgerin im bodenlangen, sackartigen Kleid, die fließend den örtlichen Dialekt spricht, und wundern uns kurz, bis wir erkennen, dass ja auch ihre Gesichtszüge ganz und gar nicht fremdländisch wirken, weil es sich nämlich um eine Deutsche handelt. Vielleicht fragen wir uns kurz, was die Frau wohl dazu getrieben hat, ihre eigene Identität aufzugeben und sich ganz dem Umfeld ihres Mannes anzupassen, aber dann gehen wir auch schon weiter und vergessen die Begegnung schnell wieder. Ob die Frau womöglich dazu gezwungen wurde, ihren Körper zu verhüllen, ob sie vielleicht tagtäglich Prügel einstecken muss, weil sie versucht aufzubegehren, ob sie sich am Ende brennend nach ihrem alten Leben sehnt und nur keinen Weg mehr zurück findet – so weit denkt fast niemand.
Ich weiß, wovon ich rede: Fast vier Jahre war ich mit meinem Freund Mahmud zusammen und somit Teil einer traditionell lebenden türkischen Großfamilie in einer mitteldeutschen Kleinstadt. Ich bekam dadurch tiefe Einblicke in eine Welt, die den meisten Deutschen verschlossen bleibt. Ich lernte und spürte am eigenen Leib, was Unterdrückung und Gewalt gegen Frauen bedeutet, wie ein tradiertes Rollenmuster und uralte Machtpositionen notfalls auch mit
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