1206 - Das Blut der schönen Frauen
Zwei Hände erschienen und verdeckten das Gesicht mit dem offenen Mund. Schlanke Hände, deren Finger sich sehr langsam spreizten.
Lange Nägel bildeten die Enden. Fast schon mit Messern zu vergleichen. Die Finger erwischten den Hals.
Sie drückten leicht zu. Dann begannen sie den Hals zu umkreisen.
Noch war es mehr ein Streicheln, doch der Druck nahm zu. Die Finger krümmten sich, sodass die Nägel härter gegen die Haut stechen konnten und sie aufrissen.
Blut sickerte aus den schmalen Wunden und zeichnete einen Kreis auf der Haut nach. Die Schmerzen waren da. Das Opfer wollte schreien. Es riss den Mund auf, aber in der Kehle stoppten die Laute. Noch konnte die junge Frau sehen, was sich vor ihr abspielte. Das Gesicht vor ihr zeigte ein böses und auch ein gieriges Lächeln, während sich die Hände weiterhin um den Hals bewegten.
Jetzt drang bereits das Blut hervor. Dicke Tropfen quollen nach außen, bevor sie am Hals entlangsickerten. Die Finger ließen nicht los. Jede Bewegung wurde von Stöhnlauten begleitet, und dann erwischten die Nägel eine Ader.
Das Blut erhielt Druck. Es sprudelte plötzlich hervor und direkt hinein in den weit geöffneten Mund.
Genau darauf hatte die Saugerin gewartet. Blitzschnell drückte sie den Kopf nach vorn. Sie wollte, dass kein Tropfen Blut verloren ging. Beide Lippen presste sie gegen den Hals. Sie trank und trank. Ein Labsal, etwas Wunderbares, das ihr die nötige Kraft gab, um weiterhin zu existieren. Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte…
***
»Kaffee, Mr. Sinclair?«
»Oh, das ist super. Können Sie Gedanken lesen, Captain?«
Der Kollege von der Wasserpolizei lachte. »Bei diesem Wetter kann ich das schon.«
»Stimmt.« Ich erhielt die Tasse und schaute auf die dunkle Flüssigkeit, über die der Dampf schwebte, in den ich hineinblies.
Nach dem dritten Blasen trank ich die ersten Schlucke und schaute dabei durch die leicht gebogene Frontscheibe des Schnellboots. Auf dem Glas klebten noch vereinzelte Wassertropfen, die der Wind dagegen geweht hatte. Das war kein Frühlingswetter. Der Winter hatte es uns noch mal richtig gezeigt, mit Schnee und Regen zugeschlagen, doch seit knapp einer Stunde regnete es nicht mehr.
Wir dümpelten noch im Hafen. Die erste Runde hatten wir bereits hinter uns, und dort war nichts passiert. Aber die zweite konnte durchaus einen Erfolg bringen. Dieser Meinung war zumindest Captain Amos Taylor.
Das Boot lag im Hafen von Thames Haven fest. Hier, wo die Themse sich anschickte, in die Nordsee zu fließen, war sie fast so breit wie ein See. Das gegenüberliegende Ufer war in der Dunkelheit nicht zu sehen.
Außerdem war die Gegend dort nur spärlich bewohnt und mehr ein Gebiet für Urlauber. Vereinzelte Lichter blitzten wie Sterne in der Nacht.
Das Wasser zeigte sich friedlicher als noch vor einer Stunde, da der Wind abgeflaut war. Es schlugen keine Brecher mehr in den Hafen hinein, und die heftigen Regenschauer schütteten uns nicht mehr zu.
Zum Spaß war ich nicht hergefahren. Es ging einfach um eine Erscheinung, für die der Captain keine Erklärung fand.
Zumindest keine, die ihn befriedigt hätte. Ihm war schon des Öfteren das Wesen aufgefallen, das bei Dunkelheit seine Runden zog und über dem Wasser und auch dem Land schwebte.
Kein Vogel war so groß und so schwarz. Laut Beschreibung des Captains konnte es sich dabei nur um eine riesige Fledermaus handeln, und dafür gab es den Begriff Vampir. Hätte er das fliegende Etwas nur ein Mal gesehen, dann hätte er keine Meldung gemacht, aber dieses seltsame Ding war ihm schon mehrmals aufgefallen, und für seine Existenz gab es keine Erklärung. Zumindest nicht für ihn. Dass seine Meldung meinen Chef, Sir James Powell, erreicht hatte, lag daran, dass Captain Taylor auch Dienst in London getan hatte und deshalb wusste, dass es die Abteilung gab, die sich um gewisse unerklärliche Phänomene kümmerte.
Da war der Weg zu mir eben nicht weit gewesen. Einen Beweis für die Existenz dieses seltsamen Flugwesens hatten wir noch nicht erhalten, aber an Aufgabe dachten wir auch nicht. Wir würden eine zweite und dritte Tour fahren, wenn es möglich war.
Ich war auch nicht allein gekommen, sondern hatte meinen Freund und Kollegen Suko mitgebracht. Er hielt sich am Heck des Polizei-Kreuzers auf, um dort seine Beobachtungen zu machen.
Wir beide waren mit Infrarot-Gläsern ausgestattet, deren Technik die Nacht fast zum Tag machte. Wenn sich irgendetwas in der Luft bewegte, würden wir es
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