Gefangen in Deutschland
zusammen auf dem Balkon und das zweite Mal an dem Tag, als die Familie wieder in ihr Heimatland abreist. Die Kinder spielen oft stundenlang allein auf der winzigen Terrasse, während ihre Mutter sich hinter den blickdichten Vorhängen verborgen hält. Nur weinen kann man sie immer wieder in dem schlecht isolierten Neubau hören, und zwar besonders dann, wenn Fuad zu Hause ist.
Einmal bin ich bei Andrea zu Besuch, als es geschieht: Durch das auf Kipp stehende Küchenfenster ist erst das Brüllen einer aufgebrachten Männerstimme zu hören, dann ein dumpfes Poltern und schließlich laute Schreie von einer Frau, die in ein wildes Schluchzen münden. Kurze Zeit später können wir auch die Kinder weinen hören. Es ist klar, was passiert ist. Auf mein Betreiben hin informiert Andrea sofort die Vermieterin, die sich dem Problem glücklicherweise umgehend annimmt und ein ernstes Wort mit dem Familienvater spricht. Danach beruhigt sich die Situation einigermaßen, aber sowohl Andrea als auch ich sind heilfroh, als die junge Frau – offenbar nach Ablauf ihres Reisevisums – schließlich wieder verschwunden ist.
Die Erleichterung meiner Freundin ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass endlich wieder Ruhe in ihrem Haus eingekehrt ist, wenngleich ihr netter Nachbar nun kein Wort mehr mit ihr spricht. Und ich selbst bin glücklich zu wissen, dass die drei Monate Isolationshaft auf vierzig Quadratmetern mit sechs Personen für die junge Syrerin vorbei sind. Ich kann nur hoffen, dass sie es in ihrer Heimat, ohne die ständige Anwesenheit ihres tyrannischen Ehemannes, besser hat als bei uns in Deutschland.
Wie kann so etwas passieren?, werden Sie sich vielleicht fragen, wenn Sie diese Zeilen gelesen haben. Wie kann es sein, dass mitten in Deutschland zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts ein anscheinend aufgeklärter, moderner und bestens in die hiesige Gesellschaft integrierter Mann muslimischer Herkunft seine blutjunge Ehefrau derart barbarisch behandelt? Wie kann es sein, dass er sie drei Monate lang mit ihren vier kleinen Kindern auf engstem Raum einsperrt? Ihr jeglichen Kontakt zu anderen Menschen untersagt? Sie als seine Leibeigene betrachtet, die er beim geringsten Anlass meint, verprügeln zu dürfen? Es kann sein – und es ist leider ziemlich häufig so. Fuad Hemidi ist keine Ausnahmeerscheinung. Männer von seiner Sorte gibt es in Deutschland zuhauf: nach außen hin der charmante, bestens eingegliederte Mitbürger, dem man seine fremde Herkunft kaum mehr anmerkt, im Rahmen der familiären Strukturen jedoch ein brutaler Tyrann, der so tut, als hätte er von gleichen Rechten für alle und der Selbstbestimmung der Frau noch nie etwas gehört. Wir alle wissen im Prinzip auch, dass Männer, die ein ähnliches moralisches Doppelleben führen wie Fuad, keine Einzelfälle darstellen. Schließlich kursiert der Begriff »Parallelgesellschaft« schon seit ein paar Jahren in den Medien und wurde 2004 beinah zum »Wort des Jahres« gewählt. Laut Duden beschreibt er »eine [von einer] Minderheit gebildete, in einem Land neben der Gesellschaft der Mehrheit existierende Gesellschaft«; im Zusammenhang mit der Integrationsdebatte ist damit die »muslimische Parallelgesellschaft« gemeint. Wie es in dieser oftmals von außen, also von der Mehrheitsgesellschaft nicht einzusehenden Welt vor sich gehen kann, haben eine Reihe hier ansässiger couragierter muslimischer Publizistinnen wie Necla Kelek, Seyran Ateş oder Serap Çileli ausführlich beschrieben, die alle selbst massiv unter der Unterdrückung ihrer Männer, Väter, Brüder zu leiden hatten, teilweise mit dem Tod bedroht wurden oder noch immer werden. Doch erst seit Erscheinen des aufsehenerregenden Buchs Deutschland schafft sich ab von Thilo Sarrazin, der sich teilweise auf die Berichte dieser Autorinnen stützt und von ihnen und anderen aufgeklärten Muslimen Unterstützung für seine Thesen zur misslungenen Integration erfährt, scheint wirklich ein wenig Bewegung in die Debatte gekommen zu sein.
Was mich bei all dem dennoch wundert, ist die Realitätsferne vieler Menschen – auch Politiker –, die sich anmaßen, zu dem Thema fundierte Beiträge liefern zu können. Der Islam als rückständige, frauenfeindliche und zur Gewalt aufrufende Religion wird für die Spaltung der hiesigen Gesellschaft in Muslime und Nicht-Muslime als genauso ursächlich angesehen wie die mangelnde Bildung oder die fehlenden Sprachkenntnisse vieler in Deutschland lebender
Weitere Kostenlose Bücher