Gefangene des Meeres
seine Gefährten vor vielen Generationen tiefgekühlt worden waren, reizte Deslann zum Lachen.
Die Bewegung im aufgetauten Raum des Brückenkopfes würde bald zu einer ausgeglichenen Wassertemperatur führen, und die Eisblöcke würden schrumpfen, aber die Nahrungslieferanten könnten diese partielle Erwärmung wahrscheinlich nicht überstehen. Sie waren zäh und lebenskräftig, aber ihre Wiederbelebung erforderte einen plötzlichen Temperaturanstieg, verbunden mit einer sorgfältig bemessenen Strahlungsdosis, die ihre Herzen und Nervensysteme mittels Schockwirkung wieder zum Funktionieren zu bringen hatte. Aber diese zwei Tiere würden nicht die einzigen sein, sagte sich Deslann, deren zeitweiliger Tod zu einem dauernden würde.
Er spähte durch das massive Eis und sah eine Gruppe gefrorener Körper, deren eßbare Körperteile fehlten. Die mehr oder weniger stark angefressenen Körper waren wie von einem blaßrosa Nebel eingehüllt, und ein schmales Band gleichfarbigen Nebels verlief von dort durch die Schiffsmitte zum Bug. Deslann wußte aus Informationen, die von der zweiten Expedition gesammelt worden waren, daß der Gegner keine Brenner besaß und zum Schmelzen seiner Eistunnels chemische Mittel verwendete, die an den Wänden rosafarbene Rückstände hinterließen. Er gab seine Befehle, und seine Leute begannen sich ihren Weg zum gegnerischen Tunnel zu brennen.
Kaum waren sie in den Tunnel durchgebrochen, da färbten Schlammbomben das Wasser vor ihnen schwarz, und aus der trüben Brühe kam ihnen ein Schwarm silbriger Metallfische entgegen. Die Fische bewegten sich nicht schnell, da sie aus Stahlfederrohren über weite Distanz geschossen wurden, aber wenn sie ihr Ziel berührten, und sei es auch nur ganz sacht, explodierte an ihrem Ende eine Rückstoßladung, die den widerhakenbesetzten Pfeil durch das Gewebe der Schutzanzüge und tief in das darunterliegende Fleisch trieb. Deslann, der seinen Trupp anführte, hatte das Glück, einen dicken Eisbrocken zu finden, den er als Schutzschild vor sich her schieben konnte, aber die ihm folgenden Gefährten waren weniger begünstigt. Viele der Metallpfeile glitten an seinem Schild vorbei, und der Eistunnel erzitterte unter den Schreien und dem Gestöhn der Verwundeten, unter den Stößen ihrer plötzlich unkontrolliert zuckenden und um sich schlagenden Körper.
Aber die trübe Dunkelheit vor ihm begann sich aufzuhellen, und der Tunnel öffnete sich in den großen Wohnteich. Auf einmal war der Feind vor ihnen und rings umher, männliche und weibliche Personen und Kinder, leichte Ziele für ihre eigenen Pfeilharpunen, trotz der überall wachsenden dekorativen Wasserpflanzen. Die Heiler des Flaggschiffes hatten ihre Pfeile mit einem rasch wirkenden Betäubungsmittel präpariert – schließlich führten sie keinen Ausrottungskrieg –, und der Feind verfügte über keine schützenden Raumanzüge. Aber die Bewohner des Nahrungsschiffes wußten nicht, daß die auf sie abgeschossenen Pfeile keine tödliche Wirkung hatten, und wehrten sich verzweifelt mit Harpunen, Lanzen und sogar mit den Zähnen. Die Zahl der Toten und Sterbenden auf beiden Seiten wuchs besorgniserregend, denn Deslanns Leute waren durch ihre eigenen Toten und Verletzten in berserkerhaften Zorn geraten. Statt ihrer Anästhesiepfeile begannen sie jetzt ihre Brenner einzusetzen.
»Wenn ihr sie schon töten müßt«, brüllte Deslann, »bringt die Frauen um!«
Dann war plötzlich alles vorbei. Die Befehlszentrale, die umliegenden Räume und die Nebenteiche mit ihren Verbindungstunnels wurden durchsucht und geräumt. Die Toten ließ man im bereits abkühlenden Wasser treiben, die Überlebenden, fast ausschließlich Kinder, wurden zum Flaggschiff überführt. Deslann der Fünfte und der gegnerische Kapitän verließen das Nahrungsschiff als letzte.
»Wir haben Ihnen die Wahrheit gesagt!« knurrte Deslann verärgert, während er den in einem Schutzanzug steckenden Körper des verwundeten Hellseggorn vor sich her stieß. »Obwohl wir nicht riskieren konnten, Ihnen alles zu sagen. Aber Sie wollten nicht hören, Ihre Sinne waren verschlossen, Sie waren nicht mehr voll zivilisiert, und wir wußten nicht, wie Sie reagieren würden. Wir wollten nicht allein Ihre Fleischvorräte, wir wollten mit Ihnen vereint sein. Der Grund dafür ist, daß die Zahl der männlichen Nachkommen, die an Bord des Flaggschiffes geboren werden, ständig geringer geworden ist; sie liegt jetzt bei einem männlichen auf zwanzig weibliche
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