Gefangene des Meeres
Kinder. Und auch von diesen wenigen männlichen Nachkommen ist die Mehrheit steril.«
Deslann gab seinem Gefangenen einen weiteren, wütenden Stoß. »Sie sehen, wie nötig wir Sie brauchten. Und wir wollten Sie und Ihre Leute lebendig, nicht tot. Wir hatten nicht vor, einen von Ihnen zu töten, und wir hofften Sie zu überraschen. Bei unseren früheren Expeditionen hatten wir erfahren, daß Ihre Kinder im Gegensatz zu den unsrigen gesund sind. Wir glauben, daß Ihre Nahrung etwas damit zu tun hat. Aber wir brauchen diese Kinder. Ohne sie gäbe es keine Zukunft, keine Mannschaft, um das Flaggschiff zu führen und die Flotte zu leiten. Vielleicht sehen Sie jetzt ein, wie groß Ihr Fehler war.«
Aber Kapitän Hellseggorn sah nichts ein, und er sah auch sonst nichts. Während des Kampfes war er durch kochendes Wasser geschwommen, das von einem Brenner kurz zuvor erhitzt worden war, und seine Augen waren verbrüht und erblindet. Er sah nicht die beiden gigantischen Schiffe in der Schwärze des Raumes hängen, und er sah auch nicht den einzelnen Stern, der vor den schwachen Sonnen des Hintergrunds wie ein Leuchtfeuer brannte. Er konnte nicht sehen und wollte nicht glauben, daß das Ende der Reise so nahe war.
19
Die Siedlung der jungen Leute in den Heckräumen der »Gulf Trader« erlebte nach der dritten Generation einen Niedergang. Zuerst wurde ihre Moral von einem schweren Schlag getroffen, als die Bullaugen in Richards Räumen von feinen grünen Algen überwachsen wurden. Die jungen Leute konnten nicht mehr auf den sandigen Meeresboden mit seinen Riffen hinausschauen, sie sahen nichts mehr von den Schiffsaufbauten und dem silbrigen Glitzern der Meeresoberfläche weit über ihnen. Alle diese Dinge wurden zu Tatsachen aus zweiter Hand, zu einem Teil des Spiels und damit zu etwas Unwirklichem, nur Gedachtem. Das zweite größere Unglück war, daß die drei jungen Paare, wie auch alle anderen an Bord des Schiffes, unter Vitaminmangel litten, was unter anderem ihre Haare und Zähne in Mitleidenschaft zog. Die Männer waren trotz ihres verhältnismäßig jugendlichen Alters kahlköpfig, und bei zweien der Frauen hatte sich das Haar grau verfärbt und fiel aus. Aber das größte Unglück, nach Meinung des Doktors eine medizinische Katastrophe, war, daß die jungen Frauen allesamt Babys erwarteten.
Normalerweise konnte ein in die Welt des Schiffes geborenes Kind damit rechnen, das Haar von den Köpfen der Mutter und des Vaters sowie dessen Barthaar zu bekommen. Die Uniformen und aus Sackleinwand gefertigten Kleider früherer Zeit waren längst zu Fetzen getragen, und selbst die Fetzen waren in der zunehmend feuchten Atmosphäre verrottet. Kleidung aus menschlichem Haar war daher alles, was ein Kind zwischen seiner Geburt und dem Alter, wo es genug Intelligenz und Selbstbeherrschung besaß, um die steifen, rauhen Pflanzenfasern zu tragen, als Kälteschutz bekommen konnte. Pflanzenfasern waren eigentlich nur als Bettzeug brauchbar, und selbst die aus einer Mischung von Haar und Pflanzenfasern gefertigten Kleider zerfielen und verschlissen zu schnell. Haar dagegen war warm, geschmeidig und leicht zu verarbeiten, und sein einziger Nachteil war, daß es so langsam wuchs.
Seit vielen Generationen war es Sitte, das Haar ungeachtet des Alters und Geschlechts dicht über der Kopfhaut abzuschneiden, sobald es eine brauchbare Länge erreicht hatte. Ausnahmen machte man nur bei heranwachsenden jungen Leuten, die kurz vor der Heirat standen und ihr Haar für ihr erstgeborenes Kind benötigen würden. Ein männlicher Bart, gleichgültig, wie buschig und voll er sein mochte, konnte nur einen Bruchteil jener Haarmenge liefern, die auf einem gesunden Kopf wuchs. Aber das Haar der jungen Leute – von ihrem allgemeinen Gesundheitszustand ganz zu schweigen – ließ nach Meinung des Doktors sehr zu wünschen übrig, und diese Unzulänglichkeit verursachte unter ihnen einen so tiefen Kummer und so große Sorge, daß ihr Spiel darunter litt und beinahe ganz zum Erliegen kam. Das war einer der Gründe, warum der Doktor sich erbot, ihnen seinen eigenen spärlichen Haarwuchs zu schenken, wenn er das nächste Mal schnittreif wäre.
Dr. James Eichlan Wallis war neunzehn Jahre alt und litt unter starker Rückgratverkrümmung und unter abstoßend wirkendem und heftig juckendem Hautausschlag. Seine Mutter, eine Epileptikerin, war im späten Stadium ihrer Schwangerschaft mehrmals schwer gestürzt, worauf er sein Hauptgebrechen
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