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Gefühltes Wissen

Gefühltes Wissen

Titel: Gefühltes Wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Evers
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Zigarette vergangen, mache sie aus und gehe zurück. Sehe, wie der Anzug hektisch und unter Tränen versucht, mit seinem Hemd die Kaffeelachen von seinen Unterlagen und den Berechnungen des Schülers zu wischen.
    Offensichtlich wollte er im Reflex der Spucke ausweichen, ist dabei gegen den Tisch gestoßen und hat so seinen noch halb vollen Kaffeebecher endgültig umgestürzt.
    Tragischerweise war auch sein Ausweichversuch nicht wirklich erfolgreich, wie man an der gelben Masse in seinem Haar zweifelsfrei erkennen kann. Beschließe, ihn lieber nicht darauf anzusprechen. In seiner Not kauft er der Frau den Strickpullover ab und macht damit zumindest den Dorfpfarrer zu einem glücklichen Mann.

    Epilog
    Noch lange nach der Fahrt musste ich immer wieder an des Schülers Klage denken, dass der Algebraunterricht für sein späteres Leben völlig sinnlos sei. Ich glaube, er irrt sich. Auch ich empfand damals speziell diese Kurvendiskussionen als völlig sinnlose Tierchenquälerei. Dass das Lesen von Büchern im Deutschunterricht oder erst recht Fremdsprachen fürs spätere Leben noch irgendwo Sinn machen könnten, war ja noch einzusehen. Aber dieses Zeugs? Warum?
    Tatsächlich hab ich's bis heute nie wieder gebraucht. Und dennoch: Es musste gemacht werden, weil: Nach mittlerweile über 15 Jahren Leben nach der Schule ist es ganz erstaunlich, wie viel sinnloses Zeug ich bei diesem Rumgelebe gemacht habe, auch machen musste. Lauter sinnloses Zeug, an dem ich fast verzweifelt, zugrunde gegangen wäre.
    Wenn mich da die Schule und insbesondere Kurvendiskussionen nicht so perfekt auf die Anforderungen des späteren Lebens vorbereitet hätten, nämlich: sinnloses Zeug zu machen, zu akzeptieren und durchzustehen - wer weiß, was aus mir geworden wäre?
    Wenn das jetzt kein versöhnlicher Schluss ist.

    Epilog 2
    Dass Mathematik sowieso eine großartige Sache ist, weil sie eben abstraktes und logisches Denken fördert, soll schon noch erwähnt werden. Eigentlich ist die Mathematik damit so was wie die Ursuppe allen Denkens. Das geht im Prinzip sogar so weit, dass sie es mir heute ermöglicht, vorhandenes Wissen völlig auszublenden und somit zu einem Schluss wie im ersten Epilog zu kommen. Dafür bin ich der Mathematik sehr dankbar.

Der kleine Satellit
    Im Bus. Der Junge auf dem Sitz vor uns zückt sein Handy, wählt eine Nummer, spricht:
    - Ey, nur dass du's weißt, ich ruf dich nich' mehr an. Nur dass das klar is', wie ich's gestern schon gesagt habe, ich hab dich komplett gestrichen. Von mir kriegst du keinen Anruf mehr.
    … … …
    Wenn man lange genug in Berlin lebt, hat man sich eigentlich an Sonderlinge gewöhnt. Der Berliner hat reichlich davon, nennt sie meist liebevoll: ein Original und lässt sie ansonsten gewähren.
    Was ich mich nur manchmal frage, ist: Was geht in einem Satelliten vor, wenn er solch einen Anruf übermitteln muss? Da kreist dieser kleine Satellit Tausende von Kilometern über der Erde. Es ist kalt, es ist ungemütlich, es ist stockduster. Es sind beschissene Arbeitsbedingungen. Und dann plötzlich: ein Anruf! Über Tausende von Kilometern kommt dieses Signal zum Satelliten. Der ist natürlich in heller Aufregung: O Gott, o Gott, Menschen wollen miteinander sprechen, meine Schöpfer wollen kommunizieren. Ich muss ihnen helfen, ich darf jetzt nicht versagen. Ein Auftrag, ein Auftrag, über Tausende von Kilometern gereist, ein großer Auftrag. O Gott, o Gott, o Gott, o Gott. Also gut, ganz ruhig. Welche Nummer ruft er denn an? Wo hält sich diese Nummer auf? Ich muss diese Nummer finden, diese Nummer, irgendwo muss diese Nummer sein. Wo ist diese Nummer!!!???
    Und dann beginnt er aus dem dunklen, kalten Weltall heraus über Tausende von Kilometern die ganze Welt abzuscannen. In Bombay, in Rio, in Tokio… Wo ist diese Nummer? Verdammt, die muss doch irgendwo sein! Da! In Berlin, da isse. Ach guck mal, nich' mal 500 Meter voneinander entfernt. Na ja, so klein ist die Welt. Egal, ich werde jetzt diese Verbindung herstellen, über Tausende von Kilometern, hin und zurück, zweimal Tausende von Kilometern, aber ich hab's jetzt. Es ist nicht einfach, es ist gar nicht einfach. Der eine bewegt sich auch noch, ist im Bus oder so, ich weiß es auch nicht. Aaaahhh… aber ich schaff das, ich halte die Leitung. Jetzt, meine Schöpfer, könnt ihr kommunizieren. Aaaaaahh… Euer Gespräch.
    Und dann hört er: «Ey, isch ruf dich nicht mehr an.»
    Was also denkt ein Satellit im dunklen, kalten Weltall in solch einem

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