Gegen Die Laufrichtung: Novelle
aufgetaucht Ende der siebziger Jahre, schief angesehen von Anfang an, dazu laufend verwechselt, steuerte auf Jonas' Platz zu, als er, am Operncafé nur vorbeigehend, seinen langjährigen, nie geliebten Besitz, die Aktentasche, Geschenk des Vaters, auf einem der vorderen Tische entdeckte; Roth, Internatsschwein (Christine), setzte sich und fing auf einem Blöckchen an zu notieren, Beobachtungen kleiner Dinge in der Art großer Autoren, suggestiv formuliert wie alle Plagiate; Roth betrügt, er hat immer betrogen, schon in der Schule, zeitgemäßen Protestanten ausgeliefert, frühe Sechziger Jahre, Fernsehwunder, blaue Wunder, Mädchenwunder; Christine, in derselben Anstalt, trug einen Schottenrock, den zu lupfen er nicht gewagt hatte bis Unterprima, von da an liefen die Dinge besser. Er lernte lächeln, machte Abitur, studierte; eben noch Internatsschwein, war Roth plötzlich Gesellschaftskundler, Frankfurter Schule, wohnhaft im Ostend. Zehn Jahre füllte er dort ein Zimmer mit unterlegenen Frauen, gestohlenen Büchern und einer Prosa, die niemand lesen wollte, außer den unterlegenen Frauen, aber auch niemand lesen konnte, weil sie in Organen erschien, die niemand las, bis ein Wunder geschah, ein Brief vom wichtigsten Verlag kam; danach, über Nacht, Autor, ein höfliches Ferkel, niedergemacht von denselben, die das Frühwerk später zum Maßstab erhoben, als Roth, inzwischen ins Grüne gezogen, Drehbücher für Komödien schrieb. Wenn Roth nicht am Schreibtisch sitzt, sitzt er im Kino, die wenigen Lücken gehören Frauen, jetzt überlegenen, darunter Christine; ein einziges Mal haben sie miteinander geschlafen, vor zwanzig Jahren, sie schon mit eigenem Zimmer, Fünftel einer Westendwohnung, Bockenheimer Landstraße, später geschleift, er mit Nische auf derselben Etage, eine unnötige Versuchung. Die ganze Welt hat sich seitdem gewandelt, nur nicht Christine, wo immer man in der Stadt über Gefühl spricht, fällt früher oder später ihr Name, aber er mag Christine, und Christine mag ihn. Einmal im Jahr, sechzehn Uhr, Café Laumer, erzählen sie sich stets das gleiche, bis Christine am Ende weint, weil auch die alten Zeiten im Café Laumer vorbei sind und Roth auf seinen großen Wunsch, Die kleine Liebe, kommt.
Christine. Noch etwas atemlos, begrüßt sie den fossilen Freund mit einem Kuß auf die Stirn, kaum überrascht, ihn zu sehen, und berichtet von Jonas, bis Jonas, nach Ablauf der zwei Minuten, erscheint. Sie macht ihn und Roth miteinander bekannt, nennt Roth Alte Schule und küßt sich vor Verehrung die Fingernägel, nennt Jonas Neue Schule und küßt sich vor Verehrung die Fingernägel, und Jonas, an den Ohren noch warm von ihr, wird schwindlig; er hält sich am Tisch, er greift ins Arsenal seiner Gefängnissätze, Ich würde lieber schlafen, sagt er und nimmt auf dem dritten Stuhl Platz.
Wer würde nicht lieber schlafen, man sieht sich um und bedauert es, wach zu sein – Roth sieht sich um, er sieht zu der Tennisrunde – Männer mit Dreitagebärten, und tausend Kilometer von hier sind Dreitagebärte der Ernstfall! Roth greift nach der Karte, er empfiehlt den Hasen, die Ente, das Steak, er rät zu einem Barolo; er setzt sich durch, bestellt, dann wendet er sich an Jonas – Aufschlag, Totschlag, Aus, Christine hätte mir nichts zu erzählen brauchen, ich hätte Sie auch so erkannt, ich spiele selbst etwas Tennis, ich schlage gut auf, interessant ist ja: kein Schlag kann so lehrbuchwidrig gespielt werden, denken Sie nur an Edbergs extremen Griff – Roth beugt sich zu Jonas – Ihr Leben sollten Sie aufschreiben. Jonas schüttelt den Kopf: Er braucht keine Bio-grafie, er braucht Christine. Oder Sie überlassen mir die Geschichte, sagt Roth. Der Kellner bringt den Wein und Bestecke, gewöhnliche Messer für Christine und Jonas, für Roth eins mit Holzgriff.
Jonas hat Angst vor dem Wein, er wartet mit dem Trinken auf Christine, er hält sich das Glas vor die Augen, sein Finger riecht noch nach Leben, er riecht wie Spucke, wenn sie auf der Haut erkaltet. Dann zum Wohl, sagt Roth, auf Ihre Geschichte, auf ein Comeback; Roth trinkt, Christine trinkt, Jonas trinkt, der Kellner bringt Brot und Butter, Roth lobt den Wein: stark sei der und doch einfach, so wie er selbst, so wie Christine, oder sehen Sie eine Intellektuelle in ihr? Dann würden Sie auf Christines Rauchen hereinfallen. Roth schmiert sich ein Brot, er beißt davon ab, er redet und kaut, Übrigens mag sie auch keine Intellektuellen, schon gar
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