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Gegen Die Laufrichtung: Novelle

Gegen Die Laufrichtung: Novelle

Titel: Gegen Die Laufrichtung: Novelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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mal, der erste revolutionäre Laden der Stadt, das Libresso, befand sich an dieser Stelle, an der nun die Börsenjungs sitzen, dafür heißen andere Cafés in den Vororten, wo sich die letzten von damals sammeln, Ossietzky und Tucholsky, diesen Armen läßt man keine Ruhe; seien Sie froh, daß Sie das alles verpaßt haben, samt dem Erstarken der Frauen, Frauen sehen und hören heute alles, nie waren Männer bloßgestellter, und doch muß man zugeben: ohne Frauen gäbe es keine Romane, nur sie verleiten die Begabten, ins Blaue zu erzählen. Und dann gebären sie die Kinder, ertragen diesen ganzen Schleim, Breichen und Bäuerchen, Pippi und Kacka und das Geplärr und das alles bei ihrer Intelligenz, Gott ist eben doch gerecht – glauben Sie an ihn? Ich denke, er verbirgt sich in Mysterien wie der Zahl Pi, einige Millionen Stellen hinter dem Komma beginnt sein Zuhause, dort hat er all das ausgetüftelt – Roth legt Messer und Gabel ab, er neigt sich noch weiter zu Jonas –, dort schuf er das Hirn und die Fotze, zuviel für unseren Horizont, der entweder klein oder trügerisch ist; wenn wir in klaren Nächten zum Himmel sehen, sehen wir ein vergangenes Stadium des Universums, und wer weiß, ob Christine Christine ist. Roth hebt die Hand und drückt sie an Christines Wange, Christine schaut zu Jonas. Man muß ihn reden lassen, sagt sie, er redet, weil es nichts mehr gibt, das eine Frau im Bett für ihn tun kann. Sie schiebt Roths Hand wie ein Haustier beiseite, Roth hebt sein Glas: Christine möchte damit sagen, daß sie die einzige Frau auf der Welt ist; so gesehen, hatte ich alle Frauen dieser Welt. Roth spielt an Christines Ohr, Christine nimmt sich eine Zigarette, Jonas will ihr Feuer geben, Roth will ihr Feuer geben, beider Uhrbänder stoßen aneinander, fast neun ist es, sieht Jonas, ehe sich, schmerzhaft, ein Härchen unter dem fremden Band fängt und er die Hand zurückreißt, Roths Messer greift und die Bewegung macht, die er im Leben unzählige Male gemacht hat, wenn er den Ball mit der Rückhand die Linie entlang spielen wollte: ansatzlos zieht er durch und sieht Roths Kehle durchtrennt, ein roter Schwall ergießt sich auf den Tisch, die Teller, die Reste; Christine stößt einen Ekellaut aus, während Jonas, geradezu förmlich um Entschuldigung bittend, aufsteht und geht, rückwärts zunächst, den Stillsteher rempelnd, um sich dann umzudrehen, zu rennen, schnell und mit Übersicht, wie in den besten Zeiten, um die Pärchen Haken schlagend, bis zu den Grünanlagen und weiter, von keinem behindert, obwohl jetzt Rufe über den Opernplatz schallen, Rufe, die Jonas nicht hört.
     Der Ort der Süchtigen ist leer, Polizei war gerade da, die Süchtigen haben sich zerstreut, der Ort glitzert von Scherben und Lachen, zwei Feuerstellen rauchen noch, dazwischen ein Bürostuhl ohne Lehne; vor dem Stuhl ein Schirm, daneben ein Hundeball und überall das Konfetti der Kippen und Spritzenhüllen. Schweißnaß vom Laufen setzt sich Jonas auf den Bürostuhl, dreht sich ein wenig, was da noch so alles liegt, die Bild-Zeitung vor einem Busch, schon wieder der Riese in Form von riesigen Buchstaben, und gleich darunter, kaum kleiner, Becker, Hochzeit in Weiß? Dann ein Einkaufswagen und eine lange Bahn aus Klopapier, fast eine Grundlinie. Dahinter picken Tauben in rötlichen Pfützen und Kot; sie zu berühren, diese Pfützen und Klumpen, sie in sich aufzunehmen wäre das Schlimmste, schlimmer als lebenslänglich, unverwundbar machte man sich damit, Jonas sieht sich um. Er ist der einzige Mensch weit und breit, er hat keine Angst mehr; man muß keine Angst haben, wenn man der einzige Mensch weit und breit ist. Jonas weiß, was er getan hat, durchgezogen hat er und getroffen, geklirrt hat es und gespritzt, eine Riesenschweinerei, das Tischtuch rot, Christines Rock rot, kaum hat er ein Messer, sticht er zu, wird es heißen. Jonas weint, er ist müde; wie um sich aufzurichten, sieht er zu den Türmen der Deutschen Bank und sieht daher Christine nicht: dort, wo der Rasen noch gepflegt wird, betritt sie die Anlagen. Langsam dreht er sich auf dem Bürostuhl, wie er sich als Kind auf Klavierhockern gedreht hat, entschlossen, nie mehr etwas anderes zu tun, als sich so um sich selbst zu drehen, dreht sich Richtung Schillerdenkmal und übersieht am anderen Ende der Anlagen noch eine Frau. Sie wartet dort, auf ein Rennrad gestützt, den Rückstrom der Süchtigen ab, die sie seit Tagen fotografiert.
     Wind kommt auf und verschiebt die

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