Gegen Die Laufrichtung: Novelle
Lippen, wie gut er das alles noch weiß, nein, sagte die Ella auf dieselbe Art wie Christine, o nein, und meinte das Gegenteil, ja, er hat das noch im Ohr oder wo man so etwas bewahrt, wie sie dieses Nein hervorblies, wenn er zwischen ihren Brüsten kam, was gar nicht seine Sache war, sie wollte das, sehen, was da zu sehen war, wie es in Schüben von ihm zu ihr überging. Nur ein paarmal haben sie zusammen geschlafen, ihr schien dieser Weg eine Form der Verschwendung, alles, was sich ihren Augen entzog, schien ihr verschwendet, Jonas nahm es schließlich so hin, wie er es hinnahm, gegen Lendl spielen zu müssen, wie er es hinnimmt, daß Christine ihn ausfragt – eine Hand auf dem Mund, schaut er an ihr vorbei. Auf dem Platz jetzt kleine Gruppen, Pärchen, Kinder, dazwischen Akrobaten, Musikanten, als werde ein Fest gefeiert, von dem er nichts weiß; wie soll er noch die Wahrheit sagen? Damals, am Nebentisch, gab es doch nur den Gedanken, diesen anderen auszuschalten, wie man einen Gegner in letzter Not abschießt. Er nimmt die Hand vom Mund, Christine sieht ihn an, als wüßte sie alles, und Jonas sagt, Diese Jahre im Gefängnis waren hart, obwohl auch das nicht ganz stimmt; seine Gelenke haben sich erholt, und etwas Französisch kann er jetzt auch.
Ein wenig, sagt Christine, könne sie das Gefängnis nachempfinden, denn als Kind sei sie in ein Korsett gesteckt worden, sinnloserweise. Und sie erzählt von ihrer Tante, nicht der Tante im Koma, sondern von der gesunden, schrecklichen Tante, die ihr jeden Morgen das Korsett anlegte, die dunklen Riemen strammzog. Ohne diese Frau, sagt Christine, säße ich nicht hier, um ein Gutachten über einen Sorgerechtsfall zu schreiben, ja, ich wüßte gar nicht, was Sorgerechtsfälle sind, ich wäre Tänzerin geworden, aber für ein Mädchen mit krummem Rücken kam nichts in Frage, bei dem sie hätte gerade stehen müssen, nur mit verbogenen Menschen reden, das blieb. Christine weint um ein Haar, sie macht von dem Korsett eine Skizze, einen kleinen tragbaren Käfig deutet sie an – Schade um mich, denn ich war ein schönes Mädchen, aber keiner konnte es sehen –, und Jonas schwört, sie sei immer noch schön, so wie sie da sitze, und nun sehe es einer. Christine nickt, sie verschlingt das; gleichzeitig sagt sie, Mensch, Mensch, wie ausgehungert du sein mußt, und berührt Jonas' Hand. Offenbar weiß sie, welche Gefahr darin liegt, einem Ausgehungerten feste Nahrung zu geben, ihr Finger schwebt mehr über der entwöhnten Hand, als daß er sie streichelt, Jonas kann nicht darüber hinwegsehen. Er sieht Christines Schwäche für seine Schwäche, ein Haus, das er bewohnen könnte, er kommt noch einmal auf das Wort zurück – es auszusprechen sei im Grunde leicht –, er dreht die Hand etwas, er zeigt sie von der besseren Seite, er hat vergessen, daß Liebe schwierig ist. Christine winkt dem Kellner, sie erkundigt sich nach dem Carpaccio, der Kellner schlägt sich an die Brust, Wollen Sie etwas dazu trinken, fragt er, und Christine bestellt das Carpaccio ab, Waren Sie nicht Tennisspieler, sagt der Kellner zu Jonas und schaut, als wisse er genau, wer da sitzt: ein entlassener Totschläger. Jonas will aufstehen, Christine hält ihn am Arm. Also noch immer bekannt, flüstert sie, Ihr Stern ist nicht untergegangen, und Jonas, erschrocken über das wiederauferstandene Sie, sieht auf die Uhr – bald ist es drei, seine kritische Zeit, zwischen drei und halb vier verlor er fast jedes Spiel, nun sollte er die Wahrheit sagen, an diesem Tisch habe ich einen Mann totgestochen. Christine bittet um Feuer, sie neigt sich nach vorn, sie verharrt in der Haltung, ihr Stirnhaar fällt auf Jonas' Hand, und er erzählt ihr die Wahrheit, soweit er sie kennt.
Christine bleibt ruhig, sie unterbricht ihn kein einziges Mal, sie winkt nur den Kellner noch einmal heran, Jonas kann nicht verstehen, warum sie so ruhig bleibt: als seien solche Taten an der Tagesordnung; So war's, endet er, als der Kellner am Tisch steht. Christine bestellt sich Kaffee, der Kellner sieht zu Jonas, Und? fragt er, werden Sie noch einmal spielen? Statt zu antworten, packt Jonas die Arme des Kellners, zieht sie langsam nach unten und biegt dessen ganze Gestalt, es wundert ihn, wieviel Kraft er noch hat, nicht in den Händen, irgendwo hinter der Stirn, denn der Kellner reißt sich nicht los, der Kellner ruckt nur und atmet. Jonas unterbindet auch dieses Rucken, ja atmen, aber wie soll es weitergehen; Christine hält sich
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