Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gegen Die Laufrichtung: Novelle

Gegen Die Laufrichtung: Novelle

Titel: Gegen Die Laufrichtung: Novelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
Vom Netzwerk:
noch einmal telefonieren; Christine schüttelt sich bei dem Gedanken, Jonas entschuldigt sich für das Wort, Nein, sagt Christine, es ist etwas anderes, dieses Wort macht mir nichts aus, wir können darüber reden, laß mir nur Zeit. Sie steckt sich eine Zigarette an, und Jonas, beglückt über das halbe Du, versäumt es, ihr Feuer zu geben; in seiner Vorstellung entsteht ein eindringliches Bild: Christine als Inkarnation von Ella, nur frei von deren Fehlern. Denn sie, die Ärztin, dachte, ohne besonderen Egoismus, vor allem an sich; regnete es und sie hatte einen Schirm dabei, nützte sie diesen Schirm nur zum eigenen Vorteil, ohne ihm, Jonas, im geringsten schaden zu wollen, aber er liebte das, darauf hereinzufallen, so wie er auf Ellas Teint hereinfiel, der ihn an die Herzogin von Kent denken ließ. Dabei ist Ellas Haut von dieser Blässe, die man vergebens als nobel anzupreisen versucht, das sagte sein Vater, der kurz darauf starb; mit keinem hat er je über sich und Ella gesprochen, eine Wunde muß man bedecken, sonst kommen die Fliegen. Christine fühlt diesen Mull, sie ahnt das Loch darunter. Dich verfolgt kein Wort, sagt sie, dich verfolgt ein Mensch. Sie rückt etwas näher, sie fragt nach seiner Tenniszeit, Wie war das?
     Jonas schüttelt den Kopf: nicht zu erklären. Es gab Zeiten, da war das Beste am Tennis das Netz, Gitter zwischen ihm und dem Gegner, fern war der dann, ferner als die Zuschauer; Leute, die vorn in den Logen saßen, über ihn sprachen, mochte er nicht, er mochte nur die auf den Rängen, gab sich für sie sogar Mühe, kämpfte auch manchmal, ganz in sich selbst gekehrt, sein eigener Idiot, kein Vorbild. Aber genau das mußt du sein, forderte die Ella von ihm, Vorbild, dann mögen sie dich. Die Ella war die erste in seinem Leben, die von ihm etwas forderte, sie forderte seine Wachheit, seine Zeit, seine Teilnahme am Davis Cup, seinen Samen, ja, sie verlangte von ihm, daß er mehr über sich in Erfahrung bringe, aber die eine Hälfte der Dinge, die auf einen zutreffen, erfährt man sowieso nie, und von der anderen Hälfte weiß man nur selbst etwas, das hat ihn seine Bekanntheit gelehrt; er bat sie, in Ruhe gelassen zu werden, worauf sie ihm vorhielt, seine einzige Verbindung zur Welt seien diese kleinen gelben Bälle, die er übers Netz schlage und zurückerhalte. Und im übrigen: bis zum vierundsechzigsten Platz der Weltrangliste sei er sich selber nützlich, danach, bei jedem Versuch, weiter nach vorn zu rücken, stehe er sich nur noch im Weg. Trotzdem erreichte er das Halbfinale von Paris, wo er auf Cobb traf, das große zähe Baby, wie die Ella ihn nannte, sommersprossig, halslos, Linkshänder, ein Amerikaner, der ihn regelmäßig aus Turnieren warf. Jonas hatte Angst vor Cobb, und Jonas hatte Angst vor jedem Foto, das diese Angst festhielt, dazu die Qual nach einer strittigen Entscheidung, einem gutgegebenen Ball von Cobb, den Jonas im Aus sah, dem sonst verhaßten Aus, das seine Bälle oft anzuziehen schien und in dem Fall ein Freund war, wie der Tod ein Freund sein kann, ein Freund, der ihm nichts nützte, der ihn verriet und Cobb den Punkt gab, worauf ihm das große zähe Baby womöglich den Aufschlag abnahm und schließlich gewann, wie in Paris. Dennoch stand Jonas, als Halbfinalist, gut da nach dem Spiel, Agenten von Firmen, Trainern und Managern hefteten sich wie Geckos an ihn, aber Jonas trainierte sich selbst und duldete nur das Emblem einer einzigen Firma auf seiner Kleidung, sie stellte Kinderspielzeug her, Steckbausteine, etwas, das er mochte, als sei er selbst nur zusammengesteckt; so floß ihm etwas Geld zu, eine Summe, die sich während seiner Haft vermehrt hat: Jonas hat keine Geldsorgen. Das sagt er wörtlich zu Christine, Ich habe keine Geldsorgen, und fügt hinzu, daß er nicht irgendein Tennisspieler war, im Gegenteil. Ich gehörte zu den hundert Besten. Bis dieser Mensch, der mich verfolgt, eine Ärztin, auftauchte. Kadaverliebe war das, sagt er; hätte sie mich gebeten, in Wimbledon mit der linken Hand zu spielen, ich hätt es versucht.
     Jonas verstummt. Er spürt Christines Zweifel. Oder warum raucht sie sonst langsamer? Aber selbst die Wärter, die ihn ja kannten, waren überfordert mit dem Gedanken: daß dieser Häftling schon den Rasen von Wimbledon verwüstet hatte, sie waren eben kleinlich, wie alle Wärter. Solange sein Name im Players' Guide stand, begegneten sie ihm noch mit Achtung, baten sogar um Autogramme, kurze Zeit später war einer von ihnen

Weitere Kostenlose Bücher